Wie Diskriminierung Demokratie bedroht – und was dagegen hilft
Im Interview spricht Hannah Göppert, Co-Geschäftsführerin von Faktor D und der Initiative Offene Gesellschaft, über die Auswirkungen von Diskriminierung, warum Vielfalt ein Gewinn ist und wie Zivilgesellschaft, Politik und Wirtschaft gemeinsam Veränderung bewirken können.
Hallo Hannah! Im Rahmen unseres Wirkt-Siegels Demokratie analysieren wir Organisationen, die sich gegen Desinformation und/oder Diskriminierung einsetzen. In diesem Interview wollen wir mit dir über das Thema Diskriminierung sprechen. Wie schätzt du die aktuelle Lage in Deutschland dazu ein?
Ich sehe die Lage in Deutschland in Bezug auf Diskriminierung ambivalent. Einerseits hat das Bewusstsein zugenommen, dass Diskriminierung nicht nur Einzelpersonen belastet, sondern auch Demokratie und Rechtsstaat gefährdet. Förderprogramme, Antidiskriminierungsstellen und öffentliche Debatten zeigen positive Fortschritte. Themen wie Rassismus, Antisemitismus, Behindertenfeindlichkeit, Antiziganismus oder LGBTIQ+-Feindlichkeit sind präsenter, was vor allem dem Engagement von Communities zu verdanken ist. Viele Organisationen, Unternehmen und Verbände positionieren sich klar für Vielfalt und sehen dies als gesamtgesellschaftliche Verantwortung und Aufgabe.
Andererseits gibt es Rückschritte: Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das Diskriminierung rechtlich regeln soll, wurde trotz langjähriger Forderungen nicht modernisiert. Projekte zur Vielfalt werden finanziell gekürzt, und demokratiefeindliche Diskurse, Rechtsextremismus sowie Hasskriminalität nehmen zu. Diese Entwicklungen sickern immer weiter in die Mehrheitsgesellschaft und mediale Debatten ein.
Hannah Göppert ist Co-Geschäftsführerin Deutschland von Faktor D und der Initiative Offene Gesellschaft. Sie hat in Berlin, Barcelona und New York Soziologie und Politikwissenschaften studiert und beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit demokratischer Teilhabe und gesellschaftlichem Zusammenhalt. Zuvor arbeitete sie in der politischen Bildung, Forschung und Politikberatung, u.a. bei Engagement Global, der Humboldt Universität und adelphi. (Foto: Jenna Dallwitz)
Welche Ursachen siehst du für Diskriminierung und wie hat sich das Problem aus deiner Sicht in den letzten Jahren entwickelt?
Diskriminierung entsteht durch tief verwurzelte Strukturen, historische Machtverhältnisse und Vorurteile, die bestimmte Gruppen als ungleichwertig darstellen. Menschen werden aufgrund von Merkmalen wie Herkunft, Geschlecht oder Behinderung und zugeschriebenen Eigenschaften benachteiligt. Diese Muster sind oft unbewusst, da sie durch Erziehung, Kultur und Sozialisation verinnerlicht werden. Sie zeigen sich auch in Gesetzen, kulturellen Normen und institutionellen Praktiken. Benachteiligungen treten z. B. im Arbeitsmarkt oder Wohnungswesen auf.
In den letzten Jahren hat sich aber einiges geändert: Diskriminierung wird stärker reflektiert, und mit dem AGG von 2006 gibt es ein wichtiges Werkzeug, um sie sichtbar zu machen und zu bekämpfen. Da die Ursachen für Diskriminierung, beispielsweise Rassismus oder Sexismus, so tief und strukturell verankert sind, behebt das aber natürlich nicht das Problem.
Warum ist Diskriminierung eine Gefahr für unsere Demokratie?
Diskriminierung fördert Hass und Spaltung in der Gesellschaft. Sie schwächt den Zusammenhalt, gefährdet unsere Sicherheit und untergräbt das Prinzip der Gleichberechtigung.
Wenn diskriminierende Sprache in den Alltag einzieht, wird Hass normalisiert und kann sich in Gewalt ausdrücken. Das schadet nicht nur dem Miteinander, sondern auch unserer Zukunft, gerade in einer vielfältigen Gesellschaft, die auf Offenheit und Chancengleichheit angewiesen ist.
Welche Form der Diskriminierung ist für dich aktuell besonders besorgniserregend?
Aktuell ist für mich besonders beunruhigend, dass globale Krisen und internationale Konflikte die Erscheinungsformen von Diskriminierung in Deutschland beeinflussen. Menschen werden aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen für weltweite Probleme verantwortlich gemacht.
Ein konkretes Beispiel ist der Anstieg von Antisemitismus und antimuslimischem Rassismus seit dem Oktober 2023 und dem Krieg in Nahost, mit zunehmenden Angriffen und Anfeindungen gegen Einzelpersonen und Einrichtungen. Ebenfalls besorgniserregend ist die Zunahme von Angriffen auf sexuelle Selbstbestimmung und geschlechtliche Vielfalt.
Kannst du das näher erläutern?
Ein erschreckendes Beispiel für die Zunahme von Angriffen auf sexuelle Selbstbestimmung und geschlechtliche Vielfalt sind gewalttätige Übergriffe auf die queere Community in Deutschland, die 2024 vermehrt vorkamen. Oft werden dabei Diskurse aus Ländern wie den USA übernommen, wo eine starke Anti-LGBTIQ+-Stimmung herrscht, insbesondere gegen Transpersonen. Diese verbalen Angriffe führen zunehmend zu Taten.
Der Jahresbericht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes und der nationale Diskriminierungs- und Rassismusmonitor zeigen, dass Diskriminierung aufgrund ethnischer Herkunft, Rassismus und vor allem gegen schwarze und muslimische Menschen besonders häufig ist. Aber auch Menschen mit Behinderungen und chronischen Krankheiten sind stark betroffen.
Welche Strategien oder Ansätze zur Bekämpfung von Diskriminierung siehst du als wirkungsvoll an?
Erfolgreiche Strategien zur Bekämpfung von Diskriminierung umfassen die Förderung von Diversitätskompetenz durch Trainings und Sensibilisierungsmaßnahmen in Unternehmen, Bildungseinrichtungen und Verwaltungen.
Ebenso wichtig ist die Aufklärung von Betroffenen über ihre Rechte, insbesondere durch die Antidiskriminierungsberatung, die in den letzten Jahren ausgebaut wurde. Initiativen wie „Respektland” zielen darauf ab, Beratungsangebote landesweit zugänglich zu machen, besonders auch in ländlichen Regionen.
Außerdem gewinnen community-basierte Beratungsangebote an Bedeutung, bei denen Betroffene sich gegenseitig unterstützen, was eine höhere Vertrauensbasis schafft.
Welche Empfehlungen hast du, um die negativen Auswirkungen von Diskriminierung zu verringern?
Politisch ist es wichtig, die Antidiskriminierungsarbeit nachhaltig zu fördern, statt nur auf kurzfristige Projektförderung zu setzen. Es braucht kontinuierliche Strukturen, um Vertrauen bei Betroffenen aufzubauen.
Antidiskriminierungs-Beratungsstellen sollten breiter zugänglich und sichtbarer gemacht werden, etwa durch Öffentlichkeitsarbeit, Kampagnen und Fortbildungen, um die Gesellschaft zu ermutigen, Diskriminierung aktiv entgegenzuwirken.
Ist denn der Zugang für bestimmte Zielgruppen zu diesen Beratungsstellen schwerer als für andere?
Ja, der Zugang zu Antidiskriminierungsstellen kann für bestimmte Zielgruppen erschwert sein, vor allem aufgrund von Entfernungen und dem Aufwand, dorthin zu gelangen. Auch das Vertrauen in solche Stellen ist oft eine Hürde, besonders bei Menschen, die bereits negative Erfahrungen mit Behörden und Ungleichbehandlung gemacht haben. Daher sind aufsuchende Angebote, wie Workshops vor Ort, sinnvoll, um den Zugang zu erleichtern und Vertrauen aufzubauen.
Welche Handlungsansätze der Zivilgesellschaft siehst du vielleicht auch kritisch? Wenn ja, warum?
Ein kritischer Aspekt ist, dass manche Organisationen Diversity-Trainings anbieten, ohne klare Qualitätsstandards zu haben. Manchmal wird Diversity als kurzfristige Maßnahme genutzt, um sich gut darzustellen, ohne strukturelle Veränderungen vorzunehmen. Ein einmaliges Training ist ein Anfang, aber reicht oft nicht aus, um tiefere, nachhaltige Veränderungen zu bewirken.
„Vielfalt ist keine Belastung, sondern ein Gewinn – für die Gesellschaft, die Wirtschaft und die Demokratie.“
Hannah Göppert
Wo siehst du aktuell noch Lücken in den bestehenden Initiativen gegen Diskriminierung und was könnte deiner Meinung nach verbessert werden?
Aktuell fehlt es an Maßnahmen, die rechtliche Prozesse gegen Diskriminierung für Betroffene vereinfachen. Ein notwendiges Instrument wäre das Verbandsklagerecht, damit Organisationen Diskriminierungsfälle für die Betroffenen anfechten können.
Außerdem ist es wichtig, das Thema Diversität stärker als Vorteil zu kommunizieren. Förderung von Diversität und Antidiskriminierungsmaßnahmen sollten nicht als Belastung für Unternehmen gesehen werden, sondern als etwas, das Unternehmen erfolgreicher und attraktiver für Fachkräfte macht. Unternehmen, die Vielfalt leben, profitieren von mehr Perspektiven und können bessere Arbeitsbedingungen für alle bieten. Das stärkt am Ende auch die Wirtschaft und Demokratie.
In welchen Bereichen ist mehr Forschung zu Diskriminierung nötig?
Es ist wichtig, dass bestehende Forschung und Praxis nicht weiter abgebaut, sondern gestärkt werden. Mehr Daten zu Diskriminierung helfen, gezielte Maßnahmen zu entwickeln. Es braucht eine strukturierte, flächendeckende Forschung, die auch intersektionale Diskriminierung berücksichtigt. Mehr Ansätze für intersektionale Perspektiven sind dringend nötig, besonders im Bereich der Pädagogik. In Berlin gibt es z.B. die Kompetenzstelle „i‑PÄD” für intersektionale Pädagogik. Ich denke, das ist ein vielversprechendes Modellprojekt, das jedoch noch nicht weit verbreitet ist.
Was machen die anders als andere?
I‑PÄD verfolgt einen konsequent intersektionalen Ansatz, indem es Diskriminierungsformen nicht isoliert betrachtet. Es macht z.B. deutlich, dass eine schwarze Frau anders von Diskriminierung betroffen ist als ein schwarzer Mann oder eine weiße Frau. Dabei wird das Thema nicht akademisch, sondern praxisnah und verständlich aufbereitet, mit pädagogischem Material für Schulen, Kindergärten und Lehrkräfte.
Eine abschließende Frage: Hast du konkrete Tipps für die Zivilgesellschaft, die sich gegen Diskriminierung engagiert?
Diskriminierung gefährdet unsere Demokratie, indem sie soziale Spaltungen vertieft und Hass schürt. Ein sektorübergreifendes Wirken im Bereich Antidiskriminierung ist entscheidend, weil verschiedene Akteure, von der Gesetzgebung bis zu Beratungsstellen, gemeinsam an den gleichen Zielen arbeiten müssen. Nur so können Maßnahmen effektiv gestaltet und fortlaufend angepasst werden.
Aktuell ist die Stimmung in der Zivilgesellschaft oft gedrückt, aber gerade deshalb braucht es Bündnisse und Zusammenschlüsse, um Gehör zu finden. Wichtig sind positive Narrative und Kampagnen, die Vielfalt und Antidiskriminierung als Gewinn für die Gesellschaft zeigen. Gemeinsam lassen sich solche Botschaften stärken und verbreiten.
Vielen Dank für das Gespräch!