Wie Dis­kri­mi­nie­rung Demo­kra­tie bedroht – und was dage­gen hilft

PHINEO-Redaktion,
22.01.2025

Im Inter­view spricht Han­nah Göp­pert, Co-Geschäfts­füh­re­rin von Fak­tor D und der Initia­ti­ve Offe­ne Gesell­schaft, über die Aus­wir­kun­gen von Dis­kri­mi­nie­rung, war­um Viel­falt ein Gewinn ist und wie Zivil­ge­sell­schaft, Poli­tik und Wirt­schaft gemein­sam Ver­än­de­rung bewir­ken können. 

Hal­lo Han­nah! Im Rah­men unse­res Wirkt-Sie­gels Demo­kra­tie ana­ly­sie­ren wir Orga­ni­sa­tio­nen, die sich gegen Des­in­for­ma­ti­on und/​oder Dis­kri­mi­nie­rung ein­set­zen. In die­sem Inter­view wol­len wir mit dir über das The­ma Dis­kri­mi­nie­rung spre­chen. Wie schätzt du die aktu­el­le Lage in Deutsch­land dazu ein?

Ich sehe die Lage in Deutsch­land in Bezug auf Dis­kri­mi­nie­rung ambi­va­lent. Einer­seits hat das Bewusst­sein zuge­nom­men, dass Dis­kri­mi­nie­rung nicht nur Ein­zel­per­so­nen belas­tet, son­dern auch Demo­kra­tie und Rechts­staat gefähr­det. För­der­pro­gram­me, Anti­dis­kri­mi­nie­rungs­stel­len und öffent­li­che Debat­ten zei­gen posi­ti­ve Fort­schrit­te. The­men wie Ras­sis­mus, Anti­se­mi­tis­mus, Behin­der­ten­feind­lich­keit, Anti­zi­ga­nis­mus oder LGBTIQ+-Feindlichkeit sind prä­sen­ter, was vor allem dem Enga­ge­ment von Com­mu­ni­ties zu ver­dan­ken ist. Vie­le Orga­ni­sa­tio­nen, Unter­neh­men und Ver­bän­de posi­tio­nie­ren sich klar für Viel­falt und sehen dies als gesamt­ge­sell­schaft­li­che Ver­ant­wor­tung und Auf­ga­be.

Ande­rer­seits gibt es Rück­schrit­te: Das All­ge­mei­ne Gleich­be­hand­lungs­ge­setz (AGG), das Dis­kri­mi­nie­rung recht­lich regeln soll, wur­de trotz lang­jäh­ri­ger For­de­run­gen nicht moder­ni­siert. Pro­jek­te zur Viel­falt wer­den finan­zi­ell gekürzt, und demo­kra­tie­feind­li­che Dis­kur­se, Rechts­extre­mis­mus sowie Hass­kri­mi­na­li­tät neh­men zu. Die­se Ent­wick­lun­gen sickern immer wei­ter in die Mehr­heits­ge­sell­schaft und media­le Debat­ten ein.

Han­nah Göp­pert ist Co-Geschäfts­füh­re­rin Deutsch­land von Fak­tor D und der Initia­ti­ve Offe­ne Gesell­schaft. Sie hat in Ber­lin, Bar­ce­lo­na und New York Sozio­lo­gie und Poli­tik­wis­sen­schaf­ten stu­diert und beschäf­tigt sich schwer­punkt­mä­ßig mit demo­kra­ti­scher Teil­ha­be und gesell­schaft­li­chem Zusam­men­halt. Zuvor arbei­te­te sie in der poli­ti­schen Bil­dung, For­schung und Poli­tik­be­ra­tung, u.a. bei Enga­ge­ment Glo­bal, der Hum­boldt Uni­ver­si­tät und adel­phi. (Foto: Jen­na Dallwitz)

Wel­che Ursa­chen siehst du für Dis­kri­mi­nie­rung und wie hat sich das Pro­blem aus dei­ner Sicht in den letz­ten Jah­ren entwickelt?

Dis­kri­mi­nie­rung ent­steht durch tief ver­wur­zel­te Struk­tu­ren, his­to­ri­sche Macht­ver­hält­nis­se und Vor­ur­tei­le, die bestimm­te Grup­pen als ungleich­wer­tig dar­stel­len. Men­schen wer­den auf­grund von Merk­ma­len wie Her­kunft, Geschlecht oder Behin­de­rung und zuge­schrie­be­nen Eigen­schaf­ten benach­tei­ligt. Die­se Mus­ter sind oft unbe­wusst, da sie durch Erzie­hung, Kul­tur und Sozia­li­sa­ti­on ver­in­ner­licht wer­den. Sie zei­gen sich auch in Geset­zen, kul­tu­rel­len Nor­men und insti­tu­tio­nel­len Prak­ti­ken. Benach­tei­li­gun­gen tre­ten z. B. im Arbeits­markt oder Woh­nungs­we­sen auf.

In den letz­ten Jah­ren hat sich aber eini­ges geän­dert: Dis­kri­mi­nie­rung wird stär­ker reflek­tiert, und mit dem AGG von 2006 gibt es ein wich­ti­ges Werk­zeug, um sie sicht­bar zu machen und zu bekämp­fen. Da die Ursa­chen für Dis­kri­mi­nie­rung, bei­spiels­wei­se Ras­sis­mus oder Sexis­mus, so tief und struk­tu­rell ver­an­kert sind, behebt das aber natür­lich nicht das Problem.

War­um ist Dis­kri­mi­nie­rung eine Gefahr für unse­re Demokratie? 

Dis­kri­mi­nie­rung för­dert Hass und Spal­tung in der Gesell­schaft. Sie schwächt den Zusam­men­halt, gefähr­det unse­re Sicher­heit und unter­gräbt das Prin­zip der Gleichberechtigung. 

Wenn dis­kri­mi­nie­ren­de Spra­che in den All­tag ein­zieht, wird Hass nor­ma­li­siert und kann sich in Gewalt aus­drü­cken. Das scha­det nicht nur dem Mit­ein­an­der, son­dern auch unse­rer Zukunft, gera­de in einer viel­fäl­ti­gen Gesell­schaft, die auf Offen­heit und Chan­cen­gleich­heit ange­wie­sen ist.

Wel­che Form der Dis­kri­mi­nie­rung ist für dich aktu­ell beson­ders besorgniserregend?

Aktu­ell ist für mich beson­ders beun­ru­hi­gend, dass glo­ba­le Kri­sen und inter­na­tio­na­le Kon­flik­te die Erschei­nungs­for­men von Dis­kri­mi­nie­rung in Deutsch­land beein­flus­sen. Men­schen wer­den auf­grund ihrer Zuge­hö­rig­keit zu bestimm­ten Grup­pen für welt­wei­te Pro­ble­me ver­ant­wort­lich gemacht. 

Ein kon­kre­tes Bei­spiel ist der Anstieg von Anti­se­mi­tis­mus und anti­mus­li­mi­schem Ras­sis­mus seit dem Okto­ber 2023 und dem Krieg in Nah­ost, mit zuneh­men­den Angrif­fen und Anfein­dun­gen gegen Ein­zel­per­so­nen und Ein­rich­tun­gen. Eben­falls besorg­nis­er­re­gend ist die Zunah­me von Angrif­fen auf sexu­el­le Selbst­be­stim­mung und geschlecht­li­che Vielfalt. 

Kannst du das näher erläutern? 

Ein erschre­cken­des Bei­spiel für die Zunah­me von Angrif­fen auf sexu­el­le Selbst­be­stim­mung und geschlecht­li­che Viel­falt sind gewalt­tä­ti­ge Über­grif­fe auf die que­e­re Com­mu­ni­ty in Deutsch­land, die 2024 ver­mehrt vor­ka­men. Oft wer­den dabei Dis­kur­se aus Län­dern wie den USA über­nom­men, wo eine star­ke Anti-LGBTIQ+-Stimmung herrscht, ins­be­son­de­re gegen Trans­per­so­nen. Die­se ver­ba­len Angrif­fe füh­ren zuneh­mend zu Taten. 

Der Jah­res­be­richt der Anti­dis­kri­mi­nie­rungs­stel­le des Bun­des und der natio­na­le Dis­kri­mi­nie­rungs- und Ras­sis­mus­mo­ni­tor zei­gen, dass Dis­kri­mi­nie­rung auf­grund eth­ni­scher Her­kunft, Ras­sis­mus und vor allem gegen schwar­ze und mus­li­mi­sche Men­schen beson­ders häu­fig ist. Aber auch Men­schen mit Behin­de­run­gen und chro­ni­schen Krank­hei­ten sind stark betroffen.

Wel­che Stra­te­gien oder Ansät­ze zur Bekämp­fung von Dis­kri­mi­nie­rung siehst du als wir­kungs­voll an?

Erfolg­rei­che Stra­te­gien zur Bekämp­fung von Dis­kri­mi­nie­rung umfas­sen die För­de­rung von Diver­si­täts­kom­pe­tenz durch Trai­nings und Sen­si­bi­li­sie­rungs­maß­nah­men in Unter­neh­men, Bil­dungs­ein­rich­tun­gen und Verwaltungen. 

Eben­so wich­tig ist die Auf­klä­rung von Betrof­fe­nen über ihre Rech­te, ins­be­son­de­re durch die Anti­dis­kri­mi­nie­rungs­be­ra­tung, die in den letz­ten Jah­ren aus­ge­baut wur­de. Initia­ti­ven wie Respekt­land” zie­len dar­auf ab, Bera­tungs­an­ge­bo­te lan­des­weit zugäng­lich zu machen, beson­ders auch in länd­li­chen Regionen. 

Außer­dem gewin­nen com­mu­ni­ty-basier­te Bera­tungs­an­ge­bo­te an Bedeu­tung, bei denen Betrof­fe­ne sich gegen­sei­tig unter­stüt­zen, was eine höhe­re Ver­trau­ens­ba­sis schafft.

Wel­che Emp­feh­lun­gen hast du, um die nega­ti­ven Aus­wir­kun­gen von Dis­kri­mi­nie­rung zu verringern?

Poli­tisch ist es wich­tig, die Anti­dis­kri­mi­nie­rungs­ar­beit nach­hal­tig zu för­dern, statt nur auf kurz­fris­ti­ge Pro­jekt­för­de­rung zu set­zen. Es braucht kon­ti­nu­ier­li­che Struk­tu­ren, um Ver­trau­en bei Betrof­fe­nen aufzubauen. 

Anti­dis­kri­mi­nie­rungs-Bera­tungs­stel­len soll­ten brei­ter zugäng­lich und sicht­ba­rer gemacht wer­den, etwa durch Öffent­lich­keits­ar­beit, Kam­pa­gnen und Fort­bil­dun­gen, um die Gesell­schaft zu ermu­ti­gen, Dis­kri­mi­nie­rung aktiv entgegenzuwirken.

Ist denn der Zugang für bestimm­te Ziel­grup­pen zu die­sen Bera­tungs­stel­len schwe­rer als für andere?

Ja, der Zugang zu Anti­dis­kri­mi­nie­rungs­stel­len kann für bestimm­te Ziel­grup­pen erschwert sein, vor allem auf­grund von Ent­fer­nun­gen und dem Auf­wand, dort­hin zu gelan­gen. Auch das Ver­trau­en in sol­che Stel­len ist oft eine Hür­de, beson­ders bei Men­schen, die bereits nega­ti­ve Erfah­run­gen mit Behör­den und Ungleich­be­hand­lung gemacht haben. Daher sind auf­su­chen­de Ange­bo­te, wie Work­shops vor Ort, sinn­voll, um den Zugang zu erleich­tern und Ver­trau­en aufzubauen.

Wel­che Hand­lungs­an­sät­ze der Zivil­ge­sell­schaft siehst du viel­leicht auch kri­tisch? Wenn ja, warum? 

Ein kri­ti­scher Aspekt ist, dass man­che Orga­ni­sa­tio­nen Diver­si­ty-Trai­nings anbie­ten, ohne kla­re Qua­li­täts­stan­dards zu haben. Manch­mal wird Diver­si­ty als kurz­fris­ti­ge Maß­nah­me genutzt, um sich gut dar­zu­stel­len, ohne struk­tu­rel­le Ver­än­de­run­gen vor­zu­neh­men. Ein ein­ma­li­ges Trai­ning ist ein Anfang, aber reicht oft nicht aus, um tie­fe­re, nach­hal­ti­ge Ver­än­de­run­gen zu bewirken.

Viel­falt ist kei­ne Belas­tung, son­dern ein Gewinn – für die Gesell­schaft, die Wirt­schaft und die Demokratie.“

Han­nah Göppert

Wo siehst du aktu­ell noch Lücken in den bestehen­den Initia­ti­ven gegen Dis­kri­mi­nie­rung und was könn­te dei­ner Mei­nung nach ver­bes­sert werden?

Aktu­ell fehlt es an Maß­nah­men, die recht­li­che Pro­zes­se gegen Dis­kri­mi­nie­rung für Betrof­fe­ne ver­ein­fa­chen. Ein not­wen­di­ges Instru­ment wäre das Ver­bands­kla­ge­recht, damit Orga­ni­sa­tio­nen Dis­kri­mi­nie­rungs­fäl­le für die Betrof­fe­nen anfech­ten können.

Außer­dem ist es wich­tig, das The­ma Diver­si­tät stär­ker als Vor­teil zu kom­mu­ni­zie­ren. För­de­rung von Diver­si­tät und Anti­dis­kri­mi­nie­rungs­maß­nah­men soll­ten nicht als Belas­tung für Unter­neh­men gese­hen wer­den, son­dern als etwas, das Unter­neh­men erfolg­rei­cher und attrak­ti­ver für Fach­kräf­te macht. Unter­neh­men, die Viel­falt leben, pro­fi­tie­ren von mehr Per­spek­ti­ven und kön­nen bes­se­re Arbeits­be­din­gun­gen für alle bie­ten. Das stärkt am Ende auch die Wirt­schaft und Demokratie.

In wel­chen Berei­chen ist mehr For­schung zu Dis­kri­mi­nie­rung nötig?

Es ist wich­tig, dass bestehen­de For­schung und Pra­xis nicht wei­ter abge­baut, son­dern gestärkt wer­den. Mehr Daten zu Dis­kri­mi­nie­rung hel­fen, geziel­te Maß­nah­men zu ent­wi­ckeln. Es braucht eine struk­tu­rier­te, flä­chen­de­cken­de For­schung, die auch inter­sek­tio­na­le Dis­kri­mi­nie­rung berück­sich­tigt. Mehr Ansät­ze für inter­sek­tio­na­le Per­spek­ti­ven sind drin­gend nötig, beson­ders im Bereich der Päd­ago­gik. In Ber­lin gibt es z.B. die Kom­pe­tenz­stel­le i‑PÄD” für inter­sek­tio­na­le Päd­ago­gik. Ich den­ke, das ist ein viel­ver­spre­chen­des Modell­pro­jekt, das jedoch noch nicht weit ver­brei­tet ist.

Was machen die anders als andere?

I‑PÄD ver­folgt einen kon­se­quent inter­sek­tio­na­len Ansatz, indem es Dis­kri­mi­nie­rungs­for­men nicht iso­liert betrach­tet. Es macht z.B. deut­lich, dass eine schwar­ze Frau anders von Dis­kri­mi­nie­rung betrof­fen ist als ein schwar­zer Mann oder eine wei­ße Frau. Dabei wird das The­ma nicht aka­de­misch, son­dern pra­xis­nah und ver­ständ­lich auf­be­rei­tet, mit päd­ago­gi­schem Mate­ri­al für Schu­len, Kin­der­gär­ten und Lehrkräfte.

Eine abschlie­ßen­de Fra­ge: Hast du kon­kre­te Tipps für die Zivil­ge­sell­schaft, die sich gegen Dis­kri­mi­nie­rung engagiert?

Dis­kri­mi­nie­rung gefähr­det unse­re Demo­kra­tie, indem sie sozia­le Spal­tun­gen ver­tieft und Hass schürt. Ein sek­tor­über­grei­fen­des Wir­ken im Bereich Anti­dis­kri­mi­nie­rung ist ent­schei­dend, weil ver­schie­de­ne Akteu­re, von der Gesetz­ge­bung bis zu Bera­tungs­stel­len, gemein­sam an den glei­chen Zie­len arbei­ten müs­sen. Nur so kön­nen Maß­nah­men effek­tiv gestal­tet und fort­lau­fend ange­passt werden.

Aktu­ell ist die Stim­mung in der Zivil­ge­sell­schaft oft gedrückt, aber gera­de des­halb braucht es Bünd­nis­se und Zusam­men­schlüs­se, um Gehör zu fin­den. Wich­tig sind posi­ti­ve Nar­ra­ti­ve und Kam­pa­gnen, die Viel­falt und Anti­dis­kri­mi­nie­rung als Gewinn für die Gesell­schaft zei­gen. Gemein­sam las­sen sich sol­che Bot­schaf­ten stär­ken und verbreiten.

Vie­len Dank für das Gespräch!