Von der Utopie zum Zielbild: Die innovative Verwaltung
Die deutsche Verwaltung steht für Zuverlässigkeit, Gründlichkeit und Rechtssicherheit. So sorgt sie als zentraler Pfeiler unserer Gesellschaft dafür, dass unser Gemeinwesen funktioniert. Doch in einer Welt, die sich rasant verändert, kann ein „Weiter so” auch zum Risiko werden.
Innovation ist die Voraussetzung dafür, Verwaltungsleistungen für Bürger*innen auch in Zukunft zu sichern und weiterzuentwickeln. Auch dadurch kann das Vertrauen in Staat und Demokratie wieder steigen. Damit diese Innovation gut gelingt, müssen sich neue Denk- und Arbeitsweisen innerhalb der Verwaltung jetzt verstetigen, denn: Ohne Innovation innerhalb der Verwaltung auch keine Innovation für Bürger*innen.
Der „Impact Staat” handelt innovativ
Mit dem „Impact Staat“ haben wir ein Leitbild vorgelegt, das unsere Vision eines zeitgemäßen, staatlichen Handelns skizziert. Es ist die Weiterentwicklung des Konzeptes wirkungsorientierten Arbeitens für die Verwaltung. Der Impact Staat zeichnet sich durch fünf Kernmerkmale aus: Er handelt missionsgetrieben, kollaborativ, datenbasiert, kommunikationsstark und innovativ.
Klimakrise, sinkendes Vertrauen in die Demokratie, wachsende soziale Ungleichheit, Ressourcenknappheit – all diese und weitere Faktoren stellen neue Anforderungen an die Verwaltung. Ihr Ziel muss es sein, in Zukunft noch stärker gute Lebensbedingungen zu ermöglichen und Weichen für die Zukunft zu stellen. Das gelingt der Verwaltung dann, wenn sie innovative Produkte und Dienstleistungen entwickelt, die das Leben der Bürger*innen maßgeblich positiv beeinflussen.
Wir suchen erfahrene Expert*innen für die Verwaltungstransformation
Sie wollen in einem europaweiten Programm die Zukunft von Städten durch innovative Ansätze mitgestalten? Wir sind auf der Suche nach erfahrenen Veränderungsgestalter*innen und Innovationsexpert*innen, die mit uns komplexe Herausforderungen deutscher Großstädte bearbeiten möchten.
Innovation schafft neue Erfolgsgeschichten aus der Verwaltung
Als Antwort auf Kritik an der Verwaltung wird schnell das „Wundermittel“ Innovation gefordert. Zum Beispiel, wenn mal wieder zu viel ausgedruckt oder zu langsam gearbeitet würde. Dadurch wird Innovation häufig mit Digitalisierung gleichgesetzt. Doch Innovation in der Verwaltung bedeutet mehr als digitalisierte Services und Prozesse und geht über konkrete Produkte hinaus. Innovation ist außerdem nicht nur eine Frage der Effizienz und auch nicht immer eine Kritik an dem, was bisher geleistet wurde.
Stattdessen ist Innovation vielmehr eine Notwendigkeit. Sie bietet die Chance, neue Antworten auf bisher ungelöste Probleme zu finden. Und mehr denn je geht es jetzt genau darum: Neue Wege zu finden, um die komplexen Herausforderungen unserer Zeit zu bewältigen. Damit diese neuen Erfolgsgeschichten entstehen, müssen innovative Ansätze und Arbeitsweisen fest in der Verwaltung verankert und etabliert werden. Und wie gelingt das?
Beispiel
Die fiktive Kommune Saalberg verzeichnete in den vergangenen Monaten einen starken Zuzug von geflüchteten Menschen. Die Verwaltung bemühte sich um eine gute Betreuung, u.a. in dem sie zusätzliche Kitaplätze schuf. Dennoch gab es Vorbehalte und Berührungsängste gegenüber staatlichen Institutionen. So hatten viele Eltern negative Erfahrungen gemacht und wollten ihre Kinder nicht in staatliche Kitas geben.
Die Verwaltung in Saalberg schuf daraufhin ein Brückenangebot in Form einer Löwenzahn-Kita: Ein zur Kita umgebauter Wohnwagen bot für einige Monate eine kostenlose Betreuung auf Spielplätzen in Saalberg an. So konnten Eltern und Kinder unverbindlich und für zunächst kurze Zeiträume mit den Kitabetreuer*innen und dieser Art der Kinderbetreuung in Kontakt kommen. Die Löwenzahn-Kita schuf neue Begegnungsräume und Vertrauen zwischen Betreuungspersonal, Kindern und Eltern.
Standard und Innovation: Zwei Arbeitsmodi, eine Verwaltung
Eine zukunftsfähige Verwaltung vereint zwei scheinbar gegensätzliche Arbeitsmodi in sich: Der Standardmodus sorgt für die zuverlässige Erfüllung von Gesetzen und Verordnungen. Er ist essenziell für Stabilität und Rechtssicherheit. Fehler haben gravierende Folgen, wodurch das Ausprobieren von neuen Prozessen o.ä. hier nicht möglich ist. Im Innovationsmodus zählen hingegen Kreativität, Mut und die Bereitschaft, Dinge grundlegend neu zu gestalten und dabei auch Fehler zu machen. Er ermöglicht es, neue Wege auszuprobieren, um innovative Lösungen zu finden (in Ansätzen ermöglichen das z.B. Reallabore und Experimentierklauseln bereits). Dieser Modus ist wichtig, um zukunftsfähig und flexibel agieren zu können.
Beide Arbeitsmodi zusammen sichern die Handlungsfähigkeit des Impact Staats. Sie existieren gleichzeitig und haben ihre Berechtigung sowie Notwendigkeit. Wir sind auf den Standardmodus angewiesen, damit gesetzliche Aufgaben abgesichert sind und die Zuverlässigkeit der Verwaltung garantiert werden kann. Ohne einen parallelen Innovationsmodus ist dieser Standardmodus jedoch nicht erfolgreich, da er manche Bedarfe – insbesondere neu aufkommende – nicht (ausreichend) abbilden kann. Ähnlich wie Wirtschaftsunternehmen muss auch die Verwaltung lernen, standardmäßig, kontinuierlich und parallel zum Tagesgeschäft zu innovieren.
Die Herausforderung besteht darin, flexibel zwischen diesen beiden Modi wechseln zu können. Nicht alle Mitarbeitenden müssen beide Modi beherrschen. Aber insbesondere Führungskräfte und Mitarbeitende in Querschnittsbereichen sollten die Fähigkeit haben, beide Prozesse navigieren zu können: Sie müssen (lernen,) flexibel zwischen den Modi zu wechseln und erkennen, wann es sich lohnt, neue Wege zu gehen – und wann es wichtig ist, sich auf bewährte Prozesse zu verlassen.
Beispiel
In Saalberg umfasste der Standardmodus die bekannten Maßnahmen im Falle eines Zuzuges. Sie basierten auf der Arbeit der Fachbereiche und ihren klassischen Zuständigkeiten. Doch die Bereitstellung zusätzlicher Kitaplätze für zugezogene Kinder konnte die Problemlage alleine nicht lösen.
Der parallel stattfindende Innovationsmodus setze dort an, wo die bestehenden Strukturen nicht mehr halfen: Die Saalberger Verwaltung erkannte die spezifischen Bedürfnisse der neuen Zielgruppen und entwickelte daraufhin ein innovatives Angebot, dass ihren Bedürfnissen mehr entsprach. Das wurde möglich, weil die Verwaltung auf ressortübergreifende Zusammenarbeit setzte, u.a. mit Kolleg*innen aus den Abteilungen Bau, Recht und Soziales. Das Ziel der Löwenzahn-Kita war es außerdem nie, die Kinder dauerhaft in der flexiblen Einrichtung zu betreuen. Stattdessen sollte sie helfen, Vertrauen aufzubauen und so den Übergang in die klassischen Kitas zu ermöglichen.
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4 Arten von Innovation in der Verwaltung
Innovation ist also mehr als Digitalisierung, Effizienzsteigerung und nicht immer eine Lösung für Kritik an Verwaltungshandeln. Sie entsteht parallel zum „Tagesgeschäft“ der Verwaltung (Standardmodus). Hinzukommt, dass es nicht die eine Innovation gibt. Stattdessen unterscheiden z.B. de Vries et al. (2014) vier unterschiedliche Arten von Innovation:
- Produkt- und Serviceinnovation: Die Verwaltung stellt Bürger*innen innovative Produkte oder Dienstleistungen zur Verfügung. Beispiel: Impfbusse während der Corona-Pandemie
- Prozessinnovation: Die Verwaltung nutzt neue Arbeitsmethoden und Formate für ihre Arbeit. Aber auch technologische Neuerung zählen in diese Kategorie. Beispiele: neue Management- und Arbeitsmethoden, e‑Akte
- Governance Innovation: Die Verwaltung etabliert neue Formen der Zusammenarbeit und des gemeinsamen Handelns, um spezifische gesellschaftliche Probleme zu lösen. Sie nutzt dafür z.B. Konzepte wie Open Innovation oder Collective Impact.
- Konzeptionelle Innovation: Die Verwaltung greift auf neue Paradigmen oder Denkweisen zurück, um neue Perspektiven berücksichtigen zu können. Beispiel: Bürger*innen werden mit Hilfe von Beteiligungsmöglichkeiten zu Co-Produzent*innen
Diese vier Innovationsarten zeigen: Innovation lässt sich nicht nur gleichsetzen mit neuen Tools oder fertigen Produkten und Prozessen. Auch neue Arbeitsweisen oder Lösungsansätze innerhalb der Verwaltung gelten als Innovation. Diese Innovation ist vielfältig und Grundlage innovativer Angebote für Bürger*innen.
Beispiel
Das fiktive Beispiel der Löwenzahn-Kita vereint alle vier Arten von Innovation in sich. Das mobile Betreuungsangebot als Alternative zur klassischen Kita ist eine Produktinnovation: Die Art der Ausgestaltung und Bereitstellung der Kinderbetreuung ist grundlegend anders als die klassischer Kitas in Saalberg und wurde so noch nie zuvor angeboten.
Die intern neu aufgesetzte ressortübergreifende Zusammenarbeit in der Saalberger Verwaltung ist eine Prozessinnovation: Es entstand z.B. eine neue Steuerungs- und Projektgruppe, die das Angebot der Löwenzahn-Kita gemeinsam entwickelte und in Abstimmung z.B. mit den Bereichen Gesundheit, Bau sowie Recht umsetze. Für die Governance Innovation steht die Kooperation der Verwaltung mit freien Trägern und migrantischen Selbstorganisation. Sie brachten ihre Perspektiven ein und machten die Löwenzahn-Kita so zu einem erfolgreichen Projekt, das von der Zielgruppe auch angenommen wurde.
Die Kommune Saalberg übertrug das Konzept der aufsuchenden Sozialarbeit auf die Kindertagesstätten. Sie brachte das Angebot der Löwenzahn-Kita an die Orte, an denen sich die Zielgruppe aufhielt und entwickelt damit eine konzeptionelle Innovation.
Fazit: Innovation ist keine Insel, sondern ein integraler Bestandteil der Verwaltung
Somit wird deutlich: Innovationslabore oder ‑abteilungen sind gut gemeinte Initiativen, um innovatives Arbeiten in der Verwaltung zu testen. Sie reichen jedoch nicht aus. Innovation darf nicht in isolierten Einheiten stattfinden, sondern muss zentral in die Verwaltung integriert und verankert werden. Sie muss Teil ihrer DNA werden. Dafür braucht es zum einen entsprechende Strukturen wie z.B. gemeinsame Gremien und abteilungsübergreifende Arbeitsgruppen. Zum anderen muss in der Verwaltung eine Kultur entstehen, die Kreativität fördert, Fehler erlaubt und den Austausch von Ideen unterstützt.

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Dr. Julia Nast | julia.nast@phineo.org
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