„Nazis machen Nazisachen!”
PHINEO sprach mit dem Correctiv-Publisher David Schraven über Relevanz und Förderbedarfe des gemeinnützigen Journalismus und darüber, warum Demokratie immer bei einem selbst beginnt.
Wie geht es dir und der Correctiv-Redaktion nach den Recherchen zum „Geheimplan gegen Deutschland”?
Sehr gut! Wir haben überdurchschnittlich viel Stress, und wir bekommen eine ganze Menge Angriffe in Form von Beleidigungen, klassisches Harrassment eben. Aber insgesamt sind wir sehr positiv! Menschen begreifen, dass Demokratie nicht gottgegeben vom Himmel fällt, sondern dass Demokratie etwas ist, dass wir die ganze Zeit formen und mit Leben füllen müssen. Und genau das passiert! Menschen um mich herum organisieren sich, nicht mehr nur in den Metropolen, sondern auch in Städten wie Bottrop, wo ich herkomme. Es ist ermutigend, wenn Menschen zum ersten Mal sagen: Wir müssen uns für unsere Gesellschaft einsetzen! Das stimmt mich sehr optimistisch. Die Rechtsradikalen werden unser Land nicht kriegen.
Welche Einschüchterungsversuche gab es und wie geht ihr mit diesen um?
Ach, Nazis machen Nazisachen, das ist nicht überraschend. Punktuell müssen wir natürlich aufpassen. Etwa, wie wir Veranstaltungen organisieren und wie wir für bestimmte Personen werben. Aber wir haben da über die Jahre viel Erfahrung gesammelt. Auch, weil Kollegen wie Can Dündar bei uns arbeiten. Can Dündar ist ein bekannter türkischer Journalist, dessen Leben von einem Diktator mitsamt Staatsapparat bedroht wird. Von solchen Kollegen lernen wir viel.
David Schraven
… ist Gründer von CORRECTIV und leitet das Recherchezentrum als Publisher. Zuvor schrieb er für die taz, die Süddeutsche und war Mitgründer der Ruhrbarone. Schraven wurde für seine Recherchen vielfach ausgezeichnet.
(Foto: Ivo Mayr | Correctiv)
Gab es in den letzten Wochen eine stärkere finanzielle Unterstützung?
Einzelspenden haben sich sehr gut entwickelt, wir haben viel Unterstützung bekommen!
Hier kommt eine Besonderheit des gemeinnützigen Journalismus zum Tragen, weil dessen Wirkungslogik eine andere ist als die des „normalen” Journalismus. Im „normalen” Journalismus mache ich eine Geschichte, die ich möglichst breit verkaufen kann. Und mit dem Geld, dass ich dadurch verdiene, finanziere ich die nächste große Geschichte. Welche Art von Geschichte ich verbreite ist zweitrangig, entscheidend ist der Promi-Faktor. Deswegen investieren Medienhäuser viel in Berichterstattung über die Bundespolitik, und deswegen sitzen in Talkshows immer dieselben gesichtsbekannten Prominenten.
Die Logik unserer Redaktion ist eine andere. Sie orientiert sich an der Frage: Was ist die relevante Geschichte? Relevante Geschichten sind ganz nah beim Menschen. Und sie spielen häufig nicht in Metropolen, sondern in kaputten Städten, in Käffern, auf dem Land. An Orten, die nicht glänzen und die keinen Glamour verbreiten. In solchen Fällen ist es uns egal, ob wir Reichweite haben. Wir machen die Arbeit, weil sie wichtig ist. Solche relevanten Geschichten können sich zum Beispiel um die Barrierefreiheit in Sachsen-Anhalt drehen oder darum, ob eine Oma auf dem Dorf von A nach B kommt. Und wenn Menschen diese Arbeit relevant finden, spenden sie an uns. Sie möchten, dass wir diese Recherchen machen.
Und dann gibt es die seltenen Momente, wo beides zusammenfällt, wo man eine relevante Geschichte hat, und eine Geschichte, die jeden betrifft, egal ob in der Stadt oder im Dorf. Das ist in diesem Fall passiert. Da spenden dann viele Leute.
Begegnen euch Förder*innen wie zum Beispiel Stiftungen jetzt offener?
Die Entwicklung ist sehr langsam; aber das ist bei Stiftungen normal. Wir haben viele Beziehungen über lange Zeit aufgebaut, daher erleben wir dort auch viel Unterstützung. Aber ich hoffe, dass Stiftungen nun sehen, dass wir Geld brauchen, um gute Arbeit zu machen. Es gibt sehr viel zu tun. Und wir haben gerade bewiesen, dass wir mit unserer Arbeit ein Millionenpublikum erreichen und etwas bewirken können. Und um das zu verstetigen, brauchen wir Kraft.
Sind solche Investigativrecherchen nur durch unabhängige journalistische Institutionen wie eure möglich?
Ja. Ich glaube, dass unsere Geschichte in keinem anderen Medium in Deutschland funktioniert hätte. Ich glaube auch nicht, dass ein anderes Medium diese Geschichte gebracht hätte. Denn ein klassisches Medienhaus bekommt Probleme bei einer solchen Geschichte, weil diese Art von Recherchen ein hohes Risiko bedeuten.
Kannst du das erläutern?
Erstens haben uns Presserechtsanwälte gesagt, dass wir die Namen und die Gesichter der am Geheimtreffen beteiligten Personen nicht nennen bzw. zeigen sollten. Unsere eigene Rechtsbewertung war eine andere, dass wir Namen und Fotos der Beteiligten durchaus nennen und zeigen können, weil die Personen nicht in ihrer Privatsphäre unterwegs waren, sondern sich in einer Sozialsphäre befanden, die uns mehr Spielraum ermöglicht. Jede Redaktion, die ich kenne, hätte an dieser Stelle gesagt: Das ist uns zu riskant, wir machen das nicht, wir gehen den sicheren Weg. Dann wäre die Geschichte nicht erschienen, und du hättest keinen Impact gehabt. Keine Fotos, keine Namen.
Zweitens, der Umgang mit Quellen. Jedes andere Medium hätte gesagt: Wenn wir so nah rangehen, können wir unsere Quellen nicht mehr schützen und wir machen uns angreifbar, also berichten wir aus der Entfernung. Dann wäre die Geschichte gewesen: Irgendwelche Nazis sitzen in irgendeinem Hotel und reden über irgendwas. Das wäre aber eben keine Story geworden. Nichts wäre passiert. Erst durch konkrete Namen und Fotos und Inhalte wurde die Recherche groß. Ich glaube nicht, dass eine andere Redaktion bereit gewesen wäre, dieses Risiko einzugehen.
Welche Unterstützung braucht es, um solche investigativen Strukturen zu stärken?
Das Wichtigste ist, dass es die Gesetzesänderung gibt. Wir brauchen unbedingt den gemeinnützigen Journalismus in der Abgabenordnung! Damit wir uns nicht missverstehen: Wir als Correctiv brauchen die Gesetzesänderung nicht, wir sind rechtssicher aufgestellt, wir haben alles. Aber wir brauchen im lokalen Raum mehr journalistische Initiativen. Wir brauchen sie an Orten, an denen klassische Medien die demokratische Beobachtung der Politik nicht mehr erbringen können. Die Konsequenzen dieser Auslassung sind verheerend: Es gibt weniger öffentliche Beteiligung, weniger Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren, es gibt eine geringere Wahlbeteiligung, zugleich steigen Misswirtschaft und Korruption. Das ist wissenschaftlich erwiesen.
Was sollten Stiftungen unbedingt stärker fördern?
Drei Dinge. Erstens, sie sollten eine umfassende Gründungsförderung ermöglichen. Es ist nicht getan, nur Geld zu geben, sondern man muss auch den Geschäfts- und Unternehmersinn stärken. Zweitens, eine Kernfinanzierung, also die Unterstützung der journalistischen Arbeit samt ihrer Strukturen. Drittens, die Förderung kollaborativer Werkzeuge, also von Werkzeugen, die ein gemeinsames Arbeiten ermöglichen.
Welcher Hebel ist auf institutioneller Seite entscheidend, wenn es darum geht, demokratische Strukturen zu stärken?
Ein Lokaljournalist sagte mir mal: All business is local. So sehe ich das auch. Demokratie ist nicht irgendwo, sie ist immer bei mir, beim Bürger. Demokratie ist, wenn ich mitreden und mitentscheiden darf, welchen Namen meine Straße trägt, in der ich lebe, oder wie meine Stadt aussehen soll, welche Jugendprojekte es gibt und ob meine Schule renoviert wird. Für mich ist daher der springende Punkt, ob die demokratische Bewegung es schafft, sich auf lokaler Ebene zu engagieren. Sonst bricht auf Jahre gesehen, hier unser System auseinander.