Klimawandel
Philanthropie in Zeiten der Klimakrise
Der Klimawandel gefährdet die Voraussetzung philanthropischen Wirkens, weil er die zivilisatorische Stabilität infrage stellt. Ein Kommentar von PHINEO-Impact-Investing-Experte Young-jin Choi.
„Die Philanthropie darf nicht länger darüber hinwegsehen, dass gerade die Welt brennt”, forderte Anfang 2020 der Chef der Hewlett Foundation, Larry Kramer. Eindringlich appellierte er an Stiftungen und PhilanthropInnen, sich mit erhöhter Dringlichkeit der Bekämpfung der Klimakrise zuzuwenden. Sein Argument: Die gesellschaftlichen Voraussetzungen, unter denen philanthropisches Handeln seine Wirkung entfaltet, werden durch die menschengemachte Veränderung des Erdklimas fundamental beeinträchtigt.
Während Philanthrop*innen bis zum späten 20. Jahrhundert noch von relativ stabilen zivilisatorischen Verhältnissen ausgehen konnten, kündigen sich mit zunehmender Erderhitzung im Laufe der kommenden Jahrzehnte und Jahrhunderte weltweit ungeheure humanitäre und ökologische Katastrophen an, welche wichtige Erfolge philanthropischen Handelns ad absurdum führen würden. Auch der Ewigkeitsanspruch traditioneller Stiftungskonstruktionen würde in einer auseinanderbrechenden Gesellschaftsordnung keinen Sinn mehr machen. Vor diesem Hintergrund dürfte die philanthropische Maxime des 21. Jahrhunderts wie folgt lauten: „Schütze die Voraussetzung für philanthropisches Wirken: Bewahre die moderne, humanistische Kulturzivilisation vor ihrer Selbstzerstörung.”
Nicht nur physische Klimaschäden, sondern geopolitische Ressourcenkonflikte gilt es zu vermeiden
Die Erkenntnisse der Klimawissenschaft unterstreichen, dass die Menschheit sich in einer historischen Achsenzeit befindet – noch nie hat das Handeln (sowie das Nicht-Handeln) einer einzelnen Generation einen größeren Einfluss auf die Lebensbedingungen aller nachfolgenden Generationen gehabt als in der Periode des späten 20. und frühen 21. Jahrhunderts.
Wie dringlich die Lage derzeit ist und welche kolossale Herausforderung bereits in den nächsten 10 Jahren auf die Menschheit wartet, hat erst kürzlich ein bemerkenswerter TED Talk von Johan Rockström verdeutlicht. Neben den physischen Folgen des Klimawandels – welche hunderte von Millionen von Menschen zu Migrationen aus Hochtemperaturzonen und Küstenregionen zwingen würden – bringen die steigenden Temperaturen eine erhöhte Gefahr für geopolitische Konflikte um sicherheitskritische Ressourcen mit sich, vor allem unter Atommächten. Somit besteht eine überlebenswichtige Menschheitsaufgabe in den nächsten Jahrzehnten darin, jenen gesellschaftlichen Wandel, der eine doppelte klimatische und nukleare Katastrophe abwenden (bzw. die Wahrscheinlichkeit für eine solche deutlich reduzieren) könnte, mit größtmöglichem Nachdruck voranzutreiben, zu ermöglichen und zu unterstützen.
Das derzeitige klimaschutzphilanthropische Engagement wird der gravierenden Bedeutung der Klimakrise nicht gerecht
Die Zeichen der Zeit erkennend haben viele Unternehmen bereits damit begonnen, sich für den Klimaschutz zu engagieren. Ende letzten Jahres ist eine aufschlussreiche Studie mit dem Titel "Das gesellschaftliche Engagement von Familienunternehmen" veröffentlicht worden. Besonders vielsagend war dabei eine Gegenüberstellung des Engagements von Unternehmen und der von den Unternehmen getragenen Stiftungen.
Demnach engagieren sich im Bereich "Ökologie und Nachhaltigkeit" 78% der befragten Unternehmen – mit wachsender Tendenz – während bei den Stiftungen lediglich 13% angegeben werden. Einen weiteren Datenpunkt liefert der kürzlich veröffentlichte Report "Funding trends: Climate change mitigation philanthropy" von Climateworks.org. Die Autor*innen schätzen, dass in 2019 von einem jährlichen globalen philanthropischen Gesamtvolumen von rund 730 Mrd. USD weniger als 2% (5-9 Mrd. USD) für die Mitigation des Klimawandels ausgegeben wurden – viel zu wenig im Verhältnis zur Größenordnung und Dringlichkeit der damit verbundenen existenziellen Gefahr für die Menschheit.
Es geht darum, Prioritäten, Strategien und neue Initiativen vorübergehend neu zu bewerten
Kramers Apell bedeutet jedoch nicht zwingend, dass Stiftungen und Philanthrop*innen all ihre bisherigen Aktivitäten stoppen oder ihre originäre Mission ändern müssen. Vielmehr geht es darum, in Anbetracht einer temporären Ausnahmesituation Prioritäten, Strategien und neue Initiativen einer vorübergehenden Neubewertung zu unterziehen.
Wenn die Klimakrise in einigen Jahrzehnten weitgehend bewältigt sein sollte, dürfte einer Rückkehr zum vorherigen philanthropischen Fokus nichts im Wege stehen. Bis dahin befinden wir uns jedoch in einer außergewöhnlichen, generationenübergreifenden Notlage, welche ein beherztes und entschlossenes Handeln erfordert.
Natürlich verdient auch das "Hier und Jetzt", das lokale, vergängliche kulturelle/mildtätige Wirken seine eigene Wertschätzung. Doch wenn eine übermäßig ausgeprägte "Gegenwartsvergessenheit" geradewegs in eine verlorene Zukunft führt, wird das den betroffenen Generationen im Nachhinein nicht mehr als ein vorausschauendes, verantwortungsbewusstes Führungsverhalten zu vermitteln sein.
Die Philanthropie im verbleibenden 21. Jahrhunderts sollte alles daran setzen, sich eines Tages nicht vorwerfen lassen zu müssen, die historische und ethische Tragweite der Klimakrise übersehen zu haben.
Auch ohne Umweltschutzzweck lassen sich wertvolle Beiträge zur Transformationsbeschleunigung leisten
Darüber, dass der Erhalt unserer größten kulturellen und zivilisatorischen Errungenschaften eine zügige, tiefgreifende (und möglichst sozial gerechte) Dekarbonisierung unserer Wirtschaft erfordert, und dass dieser Prozess derzeit noch viel zu langsam von statten geht, dürfte mittlerweile kein Zweifel bestehen. Die Diskrepanz zwischen dem benötigten Wandel und der tradierten philanthropischen Praxis liegt unter anderem darin begründet, dass bestehende Stiftungen sich (im Gegensatz zu Unternehmen) schwer tun, auf veränderte gesellschaftliche Voraussetzungen zu reagieren, u.a. da ihre Satzungszwecke nicht einfach zu modifizieren sind.
Die konventionellen Rahmenbedingungen philanthropischen Wirkens (Stiftungs- und Gemeinnützigkeitsrecht) sind nicht dafür geschaffen worden, den großen Herausforderungen unserer Zeit gerecht zu werden und eine normativ notwendige gesellschaftliche Transformation zu beschleunigen.
Aber auch ohne explizites Umweltschutzziel können Stiftungen innerhalb ihrer satzungsgemäßen Handlungsspielräume Wege finden, um zumindest mit einem Teil ihrer Aktivitäten und Ressourcen zur Stabilisierung des Erdklimas beizutragen. Neben der Implementierung einer klimaneutralen Förderpraxis und einer klimafreundlichen Kapitalanlagestrategie (im Sinne der "Net Zero Asset Owner Alliance") können beispielsweise Bildungsprogramme zur Förderung des Empathievermögens jenseits nationaler, biologischer oder temporaler Grenzen, oder Initiativen, welche das öffentliche Vertrauen in Wissenschaft und Demokratie stärken, industriellen Lobbyismus bekämpfen, für internationale Kooperation werben und Mechanismen der Fehlinformation entlarven, einen wichtigen klimapolitischen Beitrag leisten.
Klimaschutzphilanthropie der Zukunft: Die Förderung einer sozial gerechten ökologisch nachhaltigen Gesellschaftstransformation
Für die Zukunft zeichnet sich ab, dass eine systemisch-wirkungsorientierte Klimaschutzphilanthropie deutlich anders aussehen dürfte, als wir es bisher gewohnt sind: kollektiver, transformativer, bewusstseinsverändernder, gesellschaftspolitischer.
Dies erfordert neue Partnerschaften und Kooperationen unter dem Motto des "gemeinsamen" Klimawirkens und die verstärkte Unterstützung von zivilgesellschaftlichen Akteuren, welche sich sowohl im politischen, als auch im vorpolitischen Raum für eine ambitioniertere Klimapolitik engagieren (z.B. durch Förderung von Awareness Building, Aktivismus, Advocacy, Agenda Setting, Think Tank-Arbeit, Policy Design, Lobbyismus etc).
In diesem Zusammenhang ist die noch junge Praxis der Förderung sozialer Bewegungen als eine zeitgemäße und folgerichtige Entwicklung zu verstehen. Innovative Fördervehikel wie z.B. der Climate Emergency Fund oder die Guerilla Foundation ermöglichen es engagierten Philanthrop*innen, den gesellschaftlichen Veränderungsprozess mit einer katalytischen/systemischen Wirkung voranzutreiben.
Mehr systemisch-wirkungsorientierte Klimaphilanthropie im vorpolitischen Raum tut auch deshalb höchste Not, weil eine kurzsichtig ökonomisch und ideologisch motivierte Gegenbewegung keine Scham hat, erhebliche Ressourcen für den Erhalt der derzeitigen Verhältnisse aufzuwenden. Umso mehr sind wir – insbesondere unsere Kinder und deren Nachkommen – auf eine starke Zivilgesellschaft angewiesen, welche diesen Beharrungskräften entgegenwirken kann.