„Lassen Sie das gute Wort durch andere sprechen”
Die hohen Zugewinne bei der Bundestagswahl für die in weiten Teilen als gesichert rechtsextrem eingestufte AfD; die ständigen, oft irre anmutenden Verlautbarungen der neuen amerikanischen Regierung; der anhaltende Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine – die täglichen Nachrichten fordern uns Demokratinnen und Demokraten heraus. Gerade jetzt aber brauchen wir überirdische Kräfte. Wir haben jemanden gefragt, der sich damit auskennt, den Bischof der evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Dr. Christian Stäblein.
Herr Stäblein, wie können wir in diesen Zeiten zuversichtlich bleiben?
Es ist jetzt total wichtig, sich gelingende Geschichten zu erzählen – also immer wieder an das zu erinnern, was im eigenen Umfeld an Wirksamkeit auch tröstet und stärkt. Ich habe das neulich selbst erlebt. Als ich mit Freunden zusammensaß und wir die Weltlage diskutierten, war die Stimmung gedrückt. Es hat dann einer vom interreligiösen Kurs in der Telefonseelsorge erzählt, wo sich viel mehr Menschen angemeldet haben als erwartet. Und dann teilten alle mehrere Geschichten gelingender Verständigung und eines guten Miteinanders. In einer Zeit wie unserer ist es wichtig, das zu erzählen, sonst erdrücken uns die Nachrichten.
Und, das klingt jetzt vielleicht schlicht, die biblischen Geschichten können einen stärken. Auch in früheren herausfordernden Zeiten erzählten sich die Menschen hoffnungsvolle Geschichten und haben sie weitergetragen, damit wir sie heute wieder und wieder lesen. Und sei es nur, dass sie uns darin stärken, auszuhalten, ja durchzuhalten in gerader Haltung. Denn es kommen auch wieder bessere Zeiten.
Welche Geschichte legen Sie uns besonders ans Herz?
Neben den Paulus-Briefen habe ich neulich wieder an Wolf Biermann gedacht. Er singt das alte Lied „Du laß‘ dich nicht verhärten in dieser harten Zeit“. Und das ist doch eigentlich eine gute Parole.
Wie findet man Trost, auch wenn man nicht in der Kirche aktiv ist oder an Gott glaubt?
Bleiben wir bei den Geschichten. Wenn man selbst in einer Art depressivem Sumpf steckt, kann man sich die guten Geschichten nicht selbst erzählen. Deshalb empfehle ich, sie sich von Arbeitskolleginnen und Arbeitskollegen, Freunden oder von Bekannten erzählen zu lassen.
Lassen Sie das gute Wort durch andere sprechen. Ich persönlich habe immer ein Buch mit Psalmen auf meinem Tisch liegen. Da reinzuschauen gibt mir Kraft.
Wie kann man innerlich eine Pause machen und zur Ruhe kommen, gerade wenn man sich beruflich mit der Stärkung der Demokratie befasst?
Jenseits der Methoden von Achtsamkeit und Entspannung empfehle ich, mit Menschen, denen es ähnlich geht, zusammen zu kochen und Zeit zu verbringen. Aus meiner Arbeit mit Geflüchteten habe ich viel von Menschen aus anderen Kulturen gelernt. Dazu gehört es auch, das Leben anzunehmen. Miteinander Essen und Worte zu teilen, halte ich für ein wirklich gutes Programm. Und auch wenn Sie denken, dass muss er ja sagen, empfehle ich das Gebet.
Die Frage „Wie hältst Du es mit der AfD?” spaltet vielfach Familien, Freundes- oder Kollegenkreise. Wie können überzeugte Demokrat*innen auf die AfD-Wähler*innen zugehen, ohne die eigene Überzeugung aufzugeben?
Es hilft sicher, seinem Gegenüber deutlich zu zeigen: Ich akzeptiere dich als Menschen. Dann ist es leichter zu sagen: Ich lehne deine Position ab – oder besser: Ich habe eine andere. Und ich will darüber mit dir reden. Aber ich akzeptiere dich als Mensch. Diese Unterscheidung hilft, weil sie uns immer wieder ins Leben führt. Ich kann Menschen annehmen, auch wenn ich das, was sie sagen oder denken, überhaupt nicht verstehen kann. Es ist wichtig, in den Dialog zu gehen und immer wieder verstehen zu wollen.
Möchten Sie den Menschen, die sich für Demokratie einsetzen, noch etwas mitgeben?
Herr Zamperoni sagt bei den Tagesthemen zum Schluss immer: „Bleiben Sie zuversichtlich.” Irgendwie besteht darin was Gutes. Eigentlich toll, dass der uns das jeden Abend wünscht. Das hat ja fast etwas Segnendes in einer säkularen Form. Ich würde es so sagen: Seien Sie gesegnet oder, wenn Sie das leichter hören können: bleiben Sie zuversichtlich. Es lohnt sich.
Fragen? Sprechen Sie mich an!
Wiebke Gülcibuk
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