Per­spek­ti­ven schaf­fen: Hilfs­an­ge­bo­te für Jugend­li­che am Über­gang Schule-Beruf

PHINEO-Redaktion,
21.06.2024

Über zwei Mil­lio­nen jun­ge Men­schen im Alter von 20 bis 34 Jah­ren haben kei­ne beruf­li­che Qua­li­fi­ka­ti­on. Jedes Jahr blei­ben zehn­tau­sen­de Jugend­li­che ohne Aus­bil­dungs­platz. Par­al­lel dazu ver­schärft sich der Man­gel an Fach­kräf­ten immer wei­ter. PHI­NEO hat mit Bir­git Treml, Bereichs­lei­te­rin der Hil­fen für jun­ge Men­schen, Fami­li­en und Berufs­in­te­gra­ti­on bei Cond­robs e.V., dar­über gespro­chen, wie ihre Orga­ni­sa­ti­on die­ser Her­aus­for­de­rung begegnet.

In der Initia­ti­ve Zukunfts­trä­ger koor­di­niert Cond­robs den regio­na­len Ver­bund Mün­chen und bringt Akteu­re aus Schu­le, Wirt­schaft, Zivil­ge­sell­schaft und loka­lem Hil­fe­netz­werk an einen Tisch, um Ange­bo­te für benach­tei­lig­te Jugend­li­che auf dem Weg von der Schu­le in Aus­bil­dung und Beruf zu ver­knüp­fen und weiterzuentwickeln.

Wel­che Jugend­li­chen haben Pro­ble­me am Über­gang Schule-Beruf? 

Das sind meist jun­ge Men­schen, die schon in der Schu­le mit Lern­schwie­rig­kei­ten zu kämp­fen haben. Die davon bedroht sind, einen schlech­ten oder gar kei­nen Schul­ab­schluss zu machen. Die wenig Unter­stüt­zung von zu Hau­se bekom­men, weil die Eltern das nicht leis­ten kön­nen. Wir haben lei­der immer noch das Phä­no­men, dass der Erfolg im Bil­dungs­sys­tem zu einem gro­ßen Teil vom Eltern­haus abhängt. Oft sind es Jugend­li­che, die ihre eige­nen Stär­ken kaum ken­nen, wenig Selbst­ver­trau­en besit­zen und die des­halb Schwie­rig­kei­ten haben, eine kla­re Zukunfts­vor­stel­lung zu ent­wi­ckeln und eigen­stän­dig einen Aus­bil­dungs­platz zu suchen. Auch man­geln­de Sprach­kennt­nis­se sind eine Hür­de. Und ganz banal: manch­mal fehlt ein­fach eine Mail­adres­se, um über­haupt eine Bewer­bung abschi­cken zu können.

Wel­che Her­aus­for­de­run­gen gibt es im Sys­tem?

Auf der einen Sei­te besteht ein Fach­kräf­te­man­gel, auf der ande­ren gibt es immer wie­der Schulabgänger*innen, die es nicht schaf­fen, in Aus­bil­dung zu kom­men. Die Kunst ist es, das zusam­men­zu­krie­gen. Schlüs­sel­qua­li­fi­ka­tio­nen sind mög­li­cher­wei­se nicht von Anfang an da. An die­ser Stel­le braucht es mehr Unter­stüt­zung, um ein Match hin­zu­be­kom­men. Und wenn dann eine Aus­bil­dungs­stel­le ange­tre­ten wur­de, muss sie auch nach­hal­tig gesi­chert wer­den, damit nicht bei den ers­ten Schwie­rig­kei­ten von einer der bei­den Sei­ten die Aus­bil­dung vor­zei­tig been­det wird. Lei­der fin­det sich noch nicht für alle Jugend­li­chen mit Bedarf flä­chen­de­ckend und aus­rei­chend Beglei­tung am Über­gang. Wir schlie­ßen hier eine Lücke.

Wie erreicht ihr benach­tei­lig­te Jugend­li­che?

Bei uns kön­nen Kin­der und Jugend­li­che zum offe­nen Ler­nen kom­men. Da gibt’s kei­ne Alters­be­schrän­kung. Wir machen in den 5. Klas­sen der Mit­tel­schu­le gezielt Wer­bung für die Nut­zung der Räu­me und die mög­li­che Unter­stüt­zung beim Ler­nen. Für vie­le ist das wich­tig, da es zu Hau­se oft kei­nen Platz gibt, an dem man kon­zen­triert sei­ne Haus­auf­ga­ben machen oder sich auf eine Prü­fung vor­be­rei­ten kann.

Wir koope­rie­ren auch mit der ört­li­chen Mit­tel­schu­le in Form eines Pro­jekts zur Berufs­ori­en­tie­rung, an dem alle Siebtklässler*innen teil­neh­men. So kom­men wir mit den Jugend­li­chen in Kon­takt. Gleich­zei­tig gibt es infol­ge der engen Zusam­men­ar­beit mit der Schu­le vie­le Lehr­kräf­te, die auf unser Ange­bot auf­merk­sam machen. Auch mit ande­ren Akteu­ren im Stadt­teil ver­an­stal­ten wir gemein­sa­me Pro­jek­te, wie zum Bei­spiel ein gro­ßes Fuß­ball­tur­nier, bei dem ver­schie­de­ne sozia­le Trä­ger vor Ort sind. Durch unse­re Ange­bo­te wer­den wir als gute Anlauf­stel­le für die Berufs­ori­en­tie­rung wahr­ge­nom­men. Und die­je­ni­gen, die bei uns waren und erfolg­reich beglei­tet wur­den, erzäh­len es auch weiter.

Wel­che Art der Unter­stüt­zung bie­tet ihr an? 

Wir haben das sehr breit ange­legt und gehen auf die indi­vi­du­el­len Bedar­fe der Jugend­li­chen ein. Gene­rell geht es viel um Moti­va­ti­on und das Erle­ben von Selbst­wirk­sam­keit. Gera­de jun­ge Men­schen, die auf die Mit­tel­schu­le gehen, haben oft das das Gefühl, in unse­rem selek­ti­ven Bil­dungs­sys­tem zu den Abge­häng­ten zu gehö­ren. Wir möch­ten sie dar­in unter­stüt­zen, ihre Stär­ken zu sehen und zu erle­ben, dass sie damit etwas schaf­fen kön­nen. Viel­leicht erken­nen sie die­se Stär­ken in der Frei­zeit für sich und kön­nen sie auf beruf­li­che Set­tings übertragen. 

Von unse­rer Sei­te aus ist es wich­tig, so etwas wahr­zu­neh­men und zu sagen: Mir fällt auf, das kannst du gut. Du hast z.B. bei dem Grill­fest hier super orga­ni­siert, super struk­tu­riert. Das hal­te ich für eine groß­ar­ti­ge Stär­ke von dir. Fällt dir das auch auf oder wie wür­dest du das beur­tei­len? Wo und wie könn­test du das ein­brin­gen. Wir tas­ten uns also mit den jun­gen Men­schen zusam­men dar­in vor, Stär­ken und Wün­sche her­aus­zu­ar­bei­ten. Ganz kon­kret ver­mit­teln wir Lern­be­glei­tun­gen, und wenn die Jugend­li­chen wei­te­re Hil­fe möch­ten, unter­stüt­zen wir bei Prak­ti­kums­su­che, Bewer­bungs­coa­ching und auch bei der Suche nach inter­es­san­ten Unter­neh­men. Wir ste­hen immer als Ansprech­part­ner zur Ver­fü­gung, selbst wenn sie schon in der Aus­bil­dung sind und zu einem spä­te­ren Zeit­punkt Pro­ble­me auf­tau­chen. Das sind inten­si­ve Beglei­tun­gen. In man­chen Fäl­len geht es auch dar­um, zu über­le­gen, wie die wei­te­re Schul­lauf­bahn aus­se­hen kann. Das alles immer wie­der mit dem Fokus dar­auf, die jun­gen Men­schen zu bestär­ken und zu fra­gen: Wo willst du hin und was brauchst du dafür?

In den Feri­en füh­ren wir soge­nann­te Power­wo­chen“ durch, in denen wir mit Schüler*innen, deren Abschluss der Mit­tel­schu­le gefähr­det ist geziel­te Prü­fungs­vor­be­rei­tung machen. Im Pro­jekt zur Berufs­ori­en­tie­rung mit den Siebtklässler*innen arbei­ten wir auch mit Fachexpert*innen aus der Pra­xis, z.B. aus der Gas­tro­no­mie, Gärt­ne­rei, Flo­ris­tik, Schrei­ne­rei­en und ande­ren Gewer­ken. Das ist eine gute Mög­lich­keit, eine Brü­cke zu schla­gen. Gleich­zei­tig unter­stüt­zen wir bei der Ver­mitt­lung in Prak­ti­ka, weil das der ers­te Tür­öff­ner ist. So etwas ist wich­tig für die eige­ne Sor­tie­rung: Was liegt mir, was liegt mir nicht.

Aller­dings wäre es super, wenn wir da noch ein brei­te­res Feld an Unter­neh­men hät­ten. Das ist in der Tat etwas, wo wir unser Netz­werk erwei­tern wollen.

Wel­che Bot­schaf­ten gebt ihr den Jugend­li­chen mit auf den Weg?

Wir füh­ren ihnen ihre eige­ne Wer­tig­keit vor Augen und bestär­ken sie dar­in, an sich zu glau­ben. Hür­den mutig zu neh­men und sich bei Bedarf Unter­stüt­zung zu holen.

Bir­git Treml von Cond­robs e.V.

Mit Selbst­wirk­sam­keit eigen­stän­dig durchs Leben zu kom­men und Pro­ble­me lösen zu kön­nen, das wol­len wir Jugend­li­chen vermitteln.”

Stoßt ihr dabei auch manch­mal an Grenzen? 

Wir haben immer die per­sön­li­che Situa­ti­on der jun­gen Men­schen im Blick. Manch­mal gibt es den Bedarf, mit den Eltern zu spre­chen. Dass der Urlaub recht­zei­tig zum Aus­bil­dungs­be­ginn been­det wird. Oder dass sie zulas­sen, ein eige­nes Bank­kon­to zu eröff­nen. Aber da, wo es über unse­re Mög­lich­kei­ten hin­aus­geht, ver­mit­teln wir an ande­re Stel­len, wie zum Bei­spiel die ambu­lan­te Erzie­hungs­hil­fe oder ande­re Bera­tungs­stel­len. Des­we­gen ist es auch so wich­tig, im Netz­werk zu arbei­ten, um all die­se Ver­net­zungs­mög­lich­kei­ten auch zu kennen.

Bei Zukunfts­trä­ger steht genau die­ses gemein­sa­me Wir­ken im Vor­der­grund: der Coll­ec­ti­ve Impact. Ver­schie­de­ne Akteu­re wie die Schu­len, die Unter­neh­men, die Ver­wal­tung und die Zivil­ge­sell­schaft mit ins Boot zu holen und zusam­men­zu­ar­bei­ten. Wo seht ihr das Poten­zi­al, Coll­ec­ti­ve Impact zu för­dern und einen Ver­bund zu koor­di­nie­ren?

Durch Koope­ra­tio­nen in unse­rem Netz­werk kön­nen wir jun­gen Men­schen pass­ge­nau Unter­stüt­zung anbie­ten. Gleich­zei­tig müs­sen wir nicht alles selbst umset­zen, son­dern kön­nen auch bestehen­de Ange­bo­te ver­mit­teln. Letzt­end­lich sind wir eine Art Lot­se inner­halb die­ses Sozi­al­raums, um auf ver­schie­de­ne Ange­bo­te auf­merk­sam zu machen. Die Erfah­rung von Selbst­wirk­sam­keit kann ich auch im Sport­ver­ein fin­den, weil ich da der Crack im Fuß­ball bin. Und gleich­zei­tig ist es wich­tig, mit der Mit­tel­schu­le und dem päd­ago­gi­schen För­der­zen­trum zusam­men­zu­ar­bei­ten. Sich gezielt inner­halb des Netz­werks abzu­stim­men. Wir wol­len nicht am Bedarf vor­bei arbei­ten, son­dern dort, wo der Schuh drückt. Wo genau das ist, wis­sen die Lehr­kräf­te der Schu­len, und natür­lich die Jugend­li­chen selbst. Wir wol­len uns gemein­sam ein Bild machen und klä­ren, wo wir vor­ran­gig anset­zen müs­sen. Wel­che Ange­bo­te haben gut funk­tio­niert, was müs­sen wir ver­bes­sern? Es ist uns ein wich­ti­ges Anlie­gen, das aus unse­rem Netz­werk ein­zu­ho­len.

Klar – wir sind nicht die ein­zi­gen Akteu­re, die mit den Jugend­li­chen am Über­gang arbei­ten. An der Schu­le gibt es noch Job-Men­to­ring und Schul­so­zi­al­ar­beit. Und natür­lich gibt es die Berufs­be­ra­tung. Daher ist es wich­tig, aus­zu­lo­ten: Wer ist an wel­chen The­men der Berufs­fin­dung dran? Wie kön­nen wir uns da gut ergän­zen? Damit wir nicht dop­pelt, son­dern in die glei­che Rich­tung arbei­ten.

Wir sind im Quar­tier gut mit allen rele­van­ten Gre­mi­en ver­netzt. Dazu zählt der Fach­ar­beits­kreis Jugend genau­so wie der Bezirks­aus­schuss. In die­sen Gre­mi­en wer­den die Wahr­neh­mun­gen zu Bedarfs­la­gen geteilt und not­wen­di­ge Ver­än­de­run­gen ange­gan­gen. Die gemein­sa­me Abstim­mung ist not­wen­dig: Was ist gera­de los im Vier­tel? Wo gibt es wel­che Rück­mel­dun­gen und Bedar­fe? Die Gre­mi­en sind wich­tig – da wird vie­les zusam­men­ge­tra­gen, was im Stadt­teil zu tun ist.

Arbeits­hil­fen, Arti­kel und kos­ten­lo­se Online-Kur­se zum The­ma der sek­tor­über­grei­fen­den Zusam­men­ar­beit gibt´s auf unse­rer SKa­la Cam­pus Lern­platt­form unter Koope­ra­tio­nen & Coll­ec­ti­ve Impact.

Wor­in liegt die Her­aus­for­de­rung, Akteu­re am Über­gang Schu­le-Beruf für die Zusam­men­ar­beit zu aktivieren? 

Die Her­aus­for­de­rung für gute Koope­ra­ti­on ist immer, dass sie einen gewis­sen Auf­wand mit sich bringt. Dass man Zeit inves­tie­ren muss und sich für kon­kre­te Ver­ein­ba­run­gen auch auf gemein­sa­me Zie­le ver­stän­di­gen soll­te. Die Koope­ra­ti­on muss regel­mä­ßig gepflegt wer­den. Man kann nicht irgend­wo mal einen Auf­takt machen und dann den­ken: das läuft. Im Grun­de ist es ein bestän­di­ges gemein­sa­mes Arbei­ten. Es lohnt sich am Ende aber sehr für die Adressat*innen – die jun­gen Men­schen, die wir hier unter­stüt­zen wol­len. Weil es für sie dann Hil­fe aus einem Guss ist und ziel­ge­rich­te­ter, als wenn sie selbst damit beschäf­tigt sind, stän­dig von A nach B zu lau­fen und Ori­en­tie­rung zu suchen.

Vie­len Dank für das Interview!

Cond­robs e.V. und die Initia­ti­ve Zukunftsträger

Den Rah­men für das Netz­werk in Mün­chen hat von 20182023 die gemein­nüt­zi­ge START­STARK GmbH geschaf­fen. Cond­robs e.V. war von Anfang an mit START­STARK eng ver­bun­den und fes­ter Bestand­teil des Zukunftsträger-Verbunds.

PHI­NEO hat die Initia­ti­ve Zukunfts­trä­ger gemein­sam mit J.P. Mor­gan im Rah­men der New Skills at Work Initia­ti­ve” ins Leben geru­fen.

Lauf­zeit: 2019 bis 2026

Geför­dert durch:

Wenn Sie Fragen haben:

Katrina Zuchina

Wirkungsanalyse & Organisationsentwicklung
+49 30 5200 65 388
katrina.zuchina@phineo.org