Perspektiven schaffen: Hilfsangebote für Jugendliche am Übergang Schule-Beruf
Über zwei Millionen junge Menschen im Alter von 20 bis 34 Jahren haben keine berufliche Qualifikation. Jedes Jahr bleiben zehntausende Jugendliche ohne Ausbildungsplatz. Parallel dazu verschärft sich der Mangel an Fachkräften immer weiter. PHINEO hat mit Birgit Treml, Bereichsleiterin der Hilfen für junge Menschen, Familien und Berufsintegration bei Condrobs e.V., darüber gesprochen, wie ihre Organisation dieser Herausforderung begegnet.
In der Initiative Zukunftsträger koordiniert Condrobs den regionalen Verbund München und bringt Akteure aus Schule, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und lokalem Hilfenetzwerk an einen Tisch, um Angebote für benachteiligte Jugendliche auf dem Weg von der Schule in Ausbildung und Beruf zu verknüpfen und weiterzuentwickeln.
Welche Jugendlichen haben Probleme am Übergang Schule-Beruf?
Das sind meist junge Menschen, die schon in der Schule mit Lernschwierigkeiten zu kämpfen haben. Die davon bedroht sind, einen schlechten oder gar keinen Schulabschluss zu machen. Die wenig Unterstützung von zu Hause bekommen, weil die Eltern das nicht leisten können. Wir haben leider immer noch das Phänomen, dass der Erfolg im Bildungssystem zu einem großen Teil vom Elternhaus abhängt. Oft sind es Jugendliche, die ihre eigenen Stärken kaum kennen, wenig Selbstvertrauen besitzen und die deshalb Schwierigkeiten haben, eine klare Zukunftsvorstellung zu entwickeln und eigenständig einen Ausbildungsplatz zu suchen. Auch mangelnde Sprachkenntnisse sind eine Hürde. Und ganz banal: manchmal fehlt einfach eine Mailadresse, um überhaupt eine Bewerbung abschicken zu können.
Welche Herausforderungen gibt es im System?
Auf der einen Seite besteht ein Fachkräftemangel, auf der anderen gibt es immer wieder Schulabgänger*innen, die es nicht schaffen, in Ausbildung zu kommen. Die Kunst ist es, das zusammenzukriegen. Schlüsselqualifikationen sind möglicherweise nicht von Anfang an da. An dieser Stelle braucht es mehr Unterstützung, um ein Match hinzubekommen. Und wenn dann eine Ausbildungsstelle angetreten wurde, muss sie auch nachhaltig gesichert werden, damit nicht bei den ersten Schwierigkeiten von einer der beiden Seiten die Ausbildung vorzeitig beendet wird. Leider findet sich noch nicht für alle Jugendlichen mit Bedarf flächendeckend und ausreichend Begleitung am Übergang. Wir schließen hier eine Lücke.
Wie erreicht ihr benachteiligte Jugendliche?
Bei uns können Kinder und Jugendliche zum offenen Lernen kommen. Da gibt’s keine Altersbeschränkung. Wir machen in den 5. Klassen der Mittelschule gezielt Werbung für die Nutzung der Räume und die mögliche Unterstützung beim Lernen. Für viele ist das wichtig, da es zu Hause oft keinen Platz gibt, an dem man konzentriert seine Hausaufgaben machen oder sich auf eine Prüfung vorbereiten kann.
Wir kooperieren auch mit der örtlichen Mittelschule in Form eines Projekts zur Berufsorientierung, an dem alle Siebtklässler*innen teilnehmen. So kommen wir mit den Jugendlichen in Kontakt. Gleichzeitig gibt es infolge der engen Zusammenarbeit mit der Schule viele Lehrkräfte, die auf unser Angebot aufmerksam machen. Auch mit anderen Akteuren im Stadtteil veranstalten wir gemeinsame Projekte, wie zum Beispiel ein großes Fußballturnier, bei dem verschiedene soziale Träger vor Ort sind. Durch unsere Angebote werden wir als gute Anlaufstelle für die Berufsorientierung wahrgenommen. Und diejenigen, die bei uns waren und erfolgreich begleitet wurden, erzählen es auch weiter.
Welche Art der Unterstützung bietet ihr an?
Wir haben das sehr breit angelegt und gehen auf die individuellen Bedarfe der Jugendlichen ein. Generell geht es viel um Motivation und das Erleben von Selbstwirksamkeit. Gerade junge Menschen, die auf die Mittelschule gehen, haben oft das das Gefühl, in unserem selektiven Bildungssystem zu den Abgehängten zu gehören. Wir möchten sie darin unterstützen, ihre Stärken zu sehen und zu erleben, dass sie damit etwas schaffen können. Vielleicht erkennen sie diese Stärken in der Freizeit für sich und können sie auf berufliche Settings übertragen.
Von unserer Seite aus ist es wichtig, so etwas wahrzunehmen und zu sagen: Mir fällt auf, das kannst du gut. Du hast z.B. bei dem Grillfest hier super organisiert, super strukturiert. Das halte ich für eine großartige Stärke von dir. Fällt dir das auch auf oder wie würdest du das beurteilen? Wo und wie könntest du das einbringen. Wir tasten uns also mit den jungen Menschen zusammen darin vor, Stärken und Wünsche herauszuarbeiten. Ganz konkret vermitteln wir Lernbegleitungen, und wenn die Jugendlichen weitere Hilfe möchten, unterstützen wir bei Praktikumssuche, Bewerbungscoaching und auch bei der Suche nach interessanten Unternehmen. Wir stehen immer als Ansprechpartner zur Verfügung, selbst wenn sie schon in der Ausbildung sind und zu einem späteren Zeitpunkt Probleme auftauchen. Das sind intensive Begleitungen. In manchen Fällen geht es auch darum, zu überlegen, wie die weitere Schullaufbahn aussehen kann. Das alles immer wieder mit dem Fokus darauf, die jungen Menschen zu bestärken und zu fragen: Wo willst du hin und was brauchst du dafür?
In den Ferien führen wir sogenannte „Powerwochen“ durch, in denen wir mit Schüler*innen, deren Abschluss der Mittelschule gefährdet ist gezielte Prüfungsvorbereitung machen. Im Projekt zur Berufsorientierung mit den Siebtklässler*innen arbeiten wir auch mit Fachexpert*innen aus der Praxis, z.B. aus der Gastronomie, Gärtnerei, Floristik, Schreinereien und anderen Gewerken. Das ist eine gute Möglichkeit, eine Brücke zu schlagen. Gleichzeitig unterstützen wir bei der Vermittlung in Praktika, weil das der erste Türöffner ist. So etwas ist wichtig für die eigene Sortierung: Was liegt mir, was liegt mir nicht.
Allerdings wäre es super, wenn wir da noch ein breiteres Feld an Unternehmen hätten. Das ist in der Tat etwas, wo wir unser Netzwerk erweitern wollen.
Welche Botschaften gebt ihr den Jugendlichen mit auf den Weg?
Wir führen ihnen ihre eigene Wertigkeit vor Augen und bestärken sie darin, an sich zu glauben. Hürden mutig zu nehmen und sich bei Bedarf Unterstützung zu holen.
Birgit Treml von Condrobs e.V.
„Mit Selbstwirksamkeit eigenständig durchs Leben zu kommen und Probleme lösen zu können, das wollen wir Jugendlichen vermitteln.”
Stoßt ihr dabei auch manchmal an Grenzen?
Wir haben immer die persönliche Situation der jungen Menschen im Blick. Manchmal gibt es den Bedarf, mit den Eltern zu sprechen. Dass der Urlaub rechtzeitig zum Ausbildungsbeginn beendet wird. Oder dass sie zulassen, ein eigenes Bankkonto zu eröffnen. Aber da, wo es über unsere Möglichkeiten hinausgeht, vermitteln wir an andere Stellen, wie zum Beispiel die ambulante Erziehungshilfe oder andere Beratungsstellen. Deswegen ist es auch so wichtig, im Netzwerk zu arbeiten, um all diese Vernetzungsmöglichkeiten auch zu kennen.
Bei Zukunftsträger steht genau dieses gemeinsame Wirken im Vordergrund: der Collective Impact. Verschiedene Akteure wie die Schulen, die Unternehmen, die Verwaltung und die Zivilgesellschaft mit ins Boot zu holen und zusammenzuarbeiten. Wo seht ihr das Potenzial, Collective Impact zu fördern und einen Verbund zu koordinieren?
Durch Kooperationen in unserem Netzwerk können wir jungen Menschen passgenau Unterstützung anbieten. Gleichzeitig müssen wir nicht alles selbst umsetzen, sondern können auch bestehende Angebote vermitteln. Letztendlich sind wir eine Art Lotse innerhalb dieses Sozialraums, um auf verschiedene Angebote aufmerksam zu machen. Die Erfahrung von Selbstwirksamkeit kann ich auch im Sportverein finden, weil ich da der Crack im Fußball bin. Und gleichzeitig ist es wichtig, mit der Mittelschule und dem pädagogischen Förderzentrum zusammenzuarbeiten. Sich gezielt innerhalb des Netzwerks abzustimmen. Wir wollen nicht am Bedarf vorbei arbeiten, sondern dort, wo der Schuh drückt. Wo genau das ist, wissen die Lehrkräfte der Schulen, und natürlich die Jugendlichen selbst. Wir wollen uns gemeinsam ein Bild machen und klären, wo wir vorrangig ansetzen müssen. Welche Angebote haben gut funktioniert, was müssen wir verbessern? Es ist uns ein wichtiges Anliegen, das aus unserem Netzwerk einzuholen.
Klar – wir sind nicht die einzigen Akteure, die mit den Jugendlichen am Übergang arbeiten. An der Schule gibt es noch Job-Mentoring und Schulsozialarbeit. Und natürlich gibt es die Berufsberatung. Daher ist es wichtig, auszuloten: Wer ist an welchen Themen der Berufsfindung dran? Wie können wir uns da gut ergänzen? Damit wir nicht doppelt, sondern in die gleiche Richtung arbeiten.
Wir sind im Quartier gut mit allen relevanten Gremien vernetzt. Dazu zählt der Facharbeitskreis Jugend genauso wie der Bezirksausschuss. In diesen Gremien werden die Wahrnehmungen zu Bedarfslagen geteilt und notwendige Veränderungen angegangen. Die gemeinsame Abstimmung ist notwendig: Was ist gerade los im Viertel? Wo gibt es welche Rückmeldungen und Bedarfe? Die Gremien sind wichtig – da wird vieles zusammengetragen, was im Stadtteil zu tun ist.
Arbeitshilfen, Artikel und kostenlose Online-Kurse zum Thema der sektorübergreifenden Zusammenarbeit gibt´s auf unserer SKala Campus Lernplattform unter Kooperationen & Collective Impact.
Worin liegt die Herausforderung, Akteure am Übergang Schule-Beruf für die Zusammenarbeit zu aktivieren?
Die Herausforderung für gute Kooperation ist immer, dass sie einen gewissen Aufwand mit sich bringt. Dass man Zeit investieren muss und sich für konkrete Vereinbarungen auch auf gemeinsame Ziele verständigen sollte. Die Kooperation muss regelmäßig gepflegt werden. Man kann nicht irgendwo mal einen Auftakt machen und dann denken: das läuft. Im Grunde ist es ein beständiges gemeinsames Arbeiten. Es lohnt sich am Ende aber sehr für die Adressat*innen – die jungen Menschen, die wir hier unterstützen wollen. Weil es für sie dann Hilfe aus einem Guss ist und zielgerichteter, als wenn sie selbst damit beschäftigt sind, ständig von A nach B zu laufen und Orientierung zu suchen.
Vielen Dank für das Interview!
Condrobs e.V. und die Initiative Zukunftsträger
Den Rahmen für das Netzwerk in München hat von 2018 – 2023 die gemeinnützige STARTSTARK GmbH geschaffen. Condrobs e.V. war von Anfang an mit STARTSTARK eng verbunden und fester Bestandteil des Zukunftsträger-Verbunds.
PHINEO hat die Initiative Zukunftsträger gemeinsam mit J.P. Morgan im Rahmen der „New Skills at Work Initiative” ins Leben gerufen.
Laufzeit: 2019 bis 2026