Wirkungslogik der Demokratie-Demos
Kurz erklärt: Diese Wirkung entfalten Demonstrationen
„Wehrhafte Demokratie Jetzt”, „Rassismus ist keine Meinung” oder „Wir halten zusammen” steht auf den selbstgemalten Plakaten. Deutschland demonstriert – in großen wie in kleinen Städten, im Westen wie im Osten. Menschen gehen auf die Straße für Demokratie und Vielfalt sowie gegen Rechtsextremismus, Hass und Hetze. Die Frage ist: Was bewirkt das Demonstrieren eigentlich?
Seitdem das gemeinnützige Recherchenetzwerk Correctiv im Januar 2024 Deportationspläne der extremen Rechten aufdeckte, gehen Millionen Menschen auf die Straße. Studien aus dem europäischen Ausland weisen darauf hin, dass Demonstrationen die Zustimmung zu rechtspopulistischen Parteien verringern können. Wir haben die aktuellen Demos zum Anlass genommen, ihre Wirkungsweise mit der PHINEO-Wirkungslogik zu erfassen.
Wirkungslogik der Demokratie-Demos
Die Wirkungslogik startet damit, dass zivilgesellschaftliche Organisationen überall in Deutschland Demonstrationen anmelden – Stufe 1 in der Wirkungslogik – und die Bevölkerung über ihre Netzwerke und Medien dazu aufrufen, an den Demonstrationen teilzunehmen – Stufe 2 in der Wirkungslogik. Teile der Bevölkerung identifizieren sich mit den Aufrufen, die Titel tragen wie „Gemeinsam gegen Rechtsextremismus! Gemeinsam für Menschlichkeit und Demokratie!”, „Nie wieder ist jetzt!” oder „Gegen die AfD – Wir schweigen nicht. Wir schauen nicht weg. Wir handeln!” und nehmen zu Tausenden an den Demonstrationen teil – mithin Stufe 3 in der Wirkungslogik.
Wirkung passiert auf den Demonstrationen
Wer demonstriert und mit einer großen Zahl Gleichgesinnter auf die Straße geht, erfährt dort ein Gemeinschaftsgefühl und Selbstwirksamkeit – Stufe 4 der Wirkungslogik, ab dieser Stufe sind erste Wirkungen zu sehen. Das veränderte Bewusstsein spiegelt sich womöglich auch in einem veränderten Verhalten wider: Teilnehmer*innen sprechen im Freundes- und Bekanntenkreis über die Demonstrationen. Einige institutionalisieren ihren Protest, indem sie gemeinnützigen Organisationen der Zivilgesellschaft und/oder Parteien beitreten. Es erscheint naheliegend, dass derlei sensibilisierte Demo-Teilnehmende wählen gehen und ihr Kreuz nicht bei rechtsextremen Parteien machen – Stufe 5 der Wirkungslogik.
Demonstrationen haben einen Multiplikatoreffekt
Demonstrationen wirken aber auch auf jene, die ihnen zunächst fernbleiben. Da über die Anzahl als auch den regen Zulauf der Demonstrationen medial breit berichtet wird – Stufe 1 in der Wirkungslogik – werden Teile der Bevölkerung erreicht, die bis dato nicht aktiv teilgenommen haben – Stufe 2 in der Wirkungslogik. Bisher Unbeteiligte lesen Artikel, setzen sich mit den Inhalten der Demonstrationen auseinander und erfahren von den nächsten Demo-Terminen – Stufe 3 in der Wirkungslogik. Bei einigen führt das dazu, dass sie sich politisieren und eine Notwendigkeit darin erkennen, nun ebenfalls aktiv an einer der Demonstrationen teilzunehmen – Stufe 4 der Wirkungslogik. Sie werden aktiver Teil der Demonstrierenden – Stufe fünf der Wirkungslogik. Dieser Multiplikatoreffekt führt dazu, dass aktuell immer mehr Menschen an den Demonstrationen teilnehmen. Andere schließen sich zwar keiner Demonstration an, hinterfragen aber womöglich ihre Positionen und entscheiden sich am Wahltag dafür, wählen zu gehen und zwar eine demokratische Partei.
Spinnt man diese Wirkungslogik weiter, ist es denkbar, dass die Demonstrationen und die allgemeine Politisierung auch die Lebenslage der Demo-Teilnehmenden verändern kann – etwa weil sie selbst rechtspopulistischen Parolen deutlicher widersprechen und sich damit im unmittelbaren Umfeld für Demokratie einsetzen, oder auch, weil sie zu neuen Formen des zivilgesellschaftlichen oder politischen Engagements finden – Stufe 6 der Wirkungslogik.
All diese Schritte können dazu führen, dass rechtspopulistische Themen in den Hintergrund rücken, die Wahlbeteiligung steigt sowie die Anzahl Stimmen bzw. Stimmanteile für rechtsextreme Parteien geringer ausfallen. Damit wäre ein gesellschaftlicher Impact erreicht – Stufe 7 der Wirkungslogik.
Sonja Schäffler, Analystin bei PHINEO
„Demonstrationen manifestieren Wirkung: Parteien positionieren sich offen gegen Rechtsextremismus und Demokratiefeindlichkeit – ein klarer Anreiz, auf die Straße zu gehen.”