Bundesteilhabegesetz
Wirkungsorientierung in der Eingliederungshilfe
Eigentlich ist das Thema ein alter Hut: Wirkung und Wirksamkeit in der Eingliederungshilfe. Beide Begriffe sind bereits seit Ende 2016 im Bundesteilhabegesetz (BTHG) festgeschrieben. In der Praxis haben Kostenträger und Leistungserbringer jedoch mit verschiedenen Fallstricken zu kämpfen. Wir stellen einige von ihnen sowie erste Lösungsansätze vor.
Im BTHG wird die Leistungsvergabe und ‑vergütung in §§ 128 und 131 SGB XI unmittelbar an diese Anforderungen geknüpft. Der Gedanke dahinter: Wenn sich die Lebensverhältnisse von Menschen mit Behinderung nachhaltig verbessern und ihre Teilhabe am gesellschaftlichen Leben gestärkt werden soll, dann braucht es Kriterien, die erfolgreiche Maßnahmen von weniger erfolgreichen unterscheiden. Soziale Organisationen, Kostenträger und Menschen mit Behinderung haben diesen Schritt in Richtung gelebter Inklusion weithin begrüßt.
These #1: Die Vorgaben des BTHG erschweren Wirkungsorientierung in der Eingliederungshilfe. Der Grundgedanke ist aber richtig.
Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht. So könnte eine zentrale Erkenntnis aus dem BTHG lauten. Denn das Gesetz lässt offen, wie die Begriffe Wirkung und Wirksamkeit inhaltlich zu verstehen sind, kurzum: welche konkreten Ziele wie erreicht werden sollen. Klar ist lediglich, dass Wirkung und Wirksamkeit nicht das Gleiche meinen. Der Begriff Wirkung beschreibt eine direkte Veränderung bei der Zielgruppe, nachdem diese in den Genuss einer Maßnahme bzw. „Intervention“ gekommen ist. Wirksamkeit hingegen meint den Erfolg einer konkreten Maßnahme – und zwar in dem Sinne, wie es beabsichtigt war.
Eine große Hilfe für Leistungsträger und ‑erbringer kann diese grobe Unterscheidung nicht sein. Dafür müsste bei der inhaltlichen Ausgestaltung der Begriffe mehr Orientierung und Verbindlichkeit geschaffen werden. Die Stoßrichtung stimmt aber. Die Bedarfe der Zielgruppen sind unbedingt stärker in den Fokus zu nehmen und dafür ist auch auf die Wirksamkeit der gewählten Maßnahmen zu achten.
These #2: Das BTHG ist eine Einladung, sich die Zielgrößen in der sozialen Arbeit selbst auszusuchen. Das eröffnet Gestaltungsspielräume.
Zu den inhaltlichen Unschärfen bei den Begriffen Wirkung und Wirksamkeit passt auch, dass gar nicht immer klar ist, ob sich die Wirkung einer Maßnahme allein auf diese zurückführen lässt. Vermutet wird stets ein kausaler Zusammenhang wie bei einem einfachen Reiz-Reaktions-Schema. Heißt: Weil unsere Betreuten diese und jene Maßnahme erhalten haben, haben wir jetzt diesen Effekt. Tatsächlich wird der Erfolg einer Maßnahme aber auch von äußeren Faktoren beeinflusst.
Viele Leistungsträger und ‑erbringer behelfen sich, indem sie für ihre Wirksamkeitsanalyse vermeintlich objektive Kriterien heranziehen wie bspw. die „Quote des Übergangs von Werkstattbeschäftigten auf den ersten Arbeitsmarkt“. Diese Quote kann einfach erhoben und sogar mit anderen Einrichtungen verglichen werden. Wenn man ehrlich ist, muss man aber auch hier festhalten: Die ermittelten Kennzahlen sind nur begrenzt aussagekräftig. Sie lassen z.B. unberücksichtigt, wie stark die Behinderung der Beschäftigten ist, ob diese überhaupt eine Integration in den ersten Arbeitsmarkt anstreben und welchen Zusatznutzen sie aus der Maßnahme beziehen.
Positiv wiederum ist: Man kann diese Unschärfe auch nutzen. Für eigene innovative, wirkungsorientierte und adaptierbare Ideen. Genau dafür bieten solche Unschärfen Freiraum.
These #3: Zufriedenheitsbefragungen lösen keine grundsätzlichen Probleme. Sie sind aber ein Baustein auf dem Weg hin zu mehr Zielgruppennähe.
Einzelne Bundesländer versuchen den Unsicherheiten beizukommen, indem sie die Lebensqualität der Leistungsberechtigten messen. So handhabt es z.B. das Land Hamburg. Als Kostenträger arbeitet es eng mit den Leistungserbringern zusammen, fragt regelmäßig die Zufriedenheit der Betreuten ab und wertet die Ergebnisse zusammen mit den Einrichtungen und Trägern der sozialen Arbeit aus.
Zwar ist auch dieser Wirkungsbeleg nicht frei von methodischen Schwächen. Doch schärft er zumindest den Blick für den Leistungsberechtigten und bindet ihn stärker ein. Und genau das ist es, worum es dem BTHG geht: Teilhabe. Insofern handelt es sich hierbei um einen innovativen und praktikablen Ansatz, der als zentraler Baustein von Wirkung und Wirksamkeit unbedingt verfeinert und ausgebaut werden sollte.
These #4: Wirkungsorientierung ist auch eine Frage der Haltung.
Häufig haben Einrichtungen und soziale Träger Vorbehalte gegenüber Wirkungsorientierung, weil sie befürchten, dass ihre Arbeit allein wirtschaftlichen Kriterien untergeordnet wird. Diese Sorge ist jedoch unberechtigt. Dass die Zielgruppen an Entscheidungen beteiligt werden, dass sie einen langfristigen Nutzen aus Maßnahmen beziehen und sich ihre Lebensbedingungen nachhaltig verbessern, dass die Organisation lernt und ihre Angebote schärft – das ist nicht nur eine Selbstverständlichkeit, sondern auch Ausdruck von Mündigkeit.
Wirkungsorientierung kann man erlernen – und zum Nutzen aller anwenden.
Mitunter sind die Unsicherheiten in Bezug auf Wirkung und Wirkungsanalyse auch hausgemacht. Schwierigkeiten, die immer wieder auftreten, sind z.B. die Erarbeitung sinnvoller und realistischer Wirkungsziele, die richtige Prioritätensetzung oder der effektive und effiziente Einsatz von Ressourcen, wie Charlotte Buttkus berichtet. Sie bietet bei PHINEO seit mehreren Jahren Weiterbildungen zu Wirkungsmanager*innen an und kennt die Herausforderungen für gemeinnützige Organisationen und Kostenträger genau. Anhand der Wirkungstreppe lernen Teilnehmende, wie sie Wirkung systematisch planen und umsetzen, präzise analysieren und messen und anschließend transparent
darüber berichten. Dieses Wissen kann dann auf verschiedene
Projekte und Bereiche der Einrichtung oder Organisation übertragen werden.